eJournals lendemains 36/141

lendemains
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2011
36141

B. Sändig (ed.): Nach dem Mauerfall: Diskussion um A. Camus’ Der Mensch in der Revolte

2011
Sandra Schmidt
ldm361410139
139 Comptes rendus tement ce qu’il veut restituer“, dit-il en 1958. Puisque dans le souvenir le monde se présente à lui sous une forme fragmentaire et simultanée, le roman ne pourra plus être „simple succession ou addition linéaire d’épisodes, de descriptions ou d’analyses mais une combinaison, une juxtaposition ou un enchevêtrement de ceux-ci“ (142). Dès 1960, pourtant, Simon met l’accent sur l’influence prépondérante du matériau qu’il travaille. Par leurs résonances, les mots infléchissent tout projet, „le propos initial se transformant en cours de route“ (144). Ainsi, la pratique même de l’écriture amène Simon à rejeter le réalisme et toute théorie du roman qui conçoive le langage comme simple instrument. D’où, en partie, son désaccord avec Sartre en 1964 (147-152), et, plus radicalement, en 1977, son accord avec Ricardou sur la nécessité de finir avec le „mythe expression-représentation“ dont on ne pourra se débarrasser „tant que l’on continuera à croire qu’il y a diachronie dans l’acte d’écrire, c’est-à-dire d’abord un sens institué, puis ce même sens exprimé au moyen de l’écriture“ (165). En excluant largement des textes au-delà de 1977, le volume ne donne qu’une idée partielle de l’évolution de la pensée de Simon. On regrette l’absence d’une bibliographie et de toute mention des spécialistes qui ont déjà commenté L’Impasse, 1 œuvre qu’on n’avait à peine besoin de „retrouver“ (10). Mais on ne peut qu’exprimer sa reconnaissance à Mireille Calle-Gruber pour ce recueil dont la richesse des idées et la présentation très soignée vont grandement contribuer à la compréhension et au rayonnement de l’œuvre de Simon. Alastair B. Duncan (Stirling, UK) BRIGITTE SÄNDIG (ED.): „ICH REVOLTIERE, ALSO SIND WIR.“ - NACH DEM MAU- ERFALL: DISKUSSION UM ALBERT CAMUS’ „DER MENSCH IN DER REVOLTE“, MÜNSTER, VERLAG GRASWURZELREVOLUTION, 2009, 191 S. Auf den ersten Blick ist das Buch der Potsdamer Romanistin Brigitte Sändig, das 2009 im Verlag „Graswurzelrevolution“ erschienen ist, nur ein Beispiel aus der Flut von aktuellen Jubiläumspublikationen zum Wendejahr 1989/ 1990. Der auf dem Einband in rot hervorgehobene Satz „Ich revoltiere, also sind wir“ und das kleine Bild von Kerzen schwenkenden Menschenmassen auf der Berliner Mauer, rufen die passenden Assoziationen hervor: „Friedliche Revolution“, „Wir sind das Volk! “. Der Untertitel verrät, warum auf dem Buchdeckel auch die Nahaufnahme eines verschmitzt lächelnden Albert Camus zu sehen ist. Es handelt sich um die Dokumentation eines öffentlichen Kolloquiums von 1991 zu Albert Camus’ philosophisch-politischem Essay L’homme révolté. In Westdeutschland lag der Essay seit 1953 unter dem etwas ungenauen Titel „Der Mensch in der Revolte“ auf Deutsch vor, während er in der DDR bis zuletzt nicht offiziell zugänglich war. Die Tagung war im Juni 1991 von der Evangelischen Akademie Ost-Berlins (zu DDR-Zeiten als „Dissidenten-Akademie“ bekannt) gemeinsam 1 Voir, par exemple, Irene Albers, „Métaphores textuelles et filmiques: Triptyque et L’IMPASSE (DIE SACKGASSE)“, dans Transports: les métaphores de Claude Simon, Irene Albers et Wolfram Nitsch (dir.), Peter Lang, Frankfurt/ Main, 2006, 305-327, et Bérénice Bonhomme, „Triptyque“ de Claude Simon. Du livre au film. Une esthétique du passage, Schena Editore, Presses de l’Université de Paris-Sorbonne, 2005, 223 p. 140 Comptes rendus mit dem Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften und dem Französischen Kulturzentrum veranstaltet worden. Aus Platzgründen hatte sie - Ironie der Geschichte - ausgerechnet im Großen Saal des einstigen Gebäudes der SED-Kreisleitung Berlin-Weißensee stattgefunden: mehr als 100 Zuhörer waren gekommen. Dieses und andere aufschlussreiche Details zur einzigartigen Situation der Tagung bietet die Einleitung der Herausgeberin Brigitte Sändig, wie bereits ihr Beitrag „L’homme révolté in Wendezeiten - Eine Camus-Tagung 1991 in Berlin“ 2 aus dem Jahr 2000, in dem sie ebenfalls auf die besondere Rezeption Albert Camus’ im Osten eingeht. Während Camus (wie sein durch den Streit über L’homme révolté zum Kontrahenten gewordener Freund Jean-Paul Sartre) im westlichen Nachkriegsdeutschland der 50er und 60er Jahre zur modischen Pflichtlektüre der linken Jugend gehörte, war im Osten die „Entscheidung für Camus“ als „Entscheidung gegen die offizielle Kulturdoktrin“ (Sändig, 2000, 6) von weit größerer Tragweite. Die Tagung von 1991 führte als Motto ein Zitat von Albert Camus, das in Worte fasst, was die demonstrierenden Menschen in der DDR wenige Monate zuvor hautnah erlebt hatten: „Ich revoltiere, also sind wir.“. Die drei ostdeutschen Referenten vom Zentralinstitut für Literaturwissenschaft trafen dabei auf drei westdeutsche sowie einen belgischen Kollegen. Sie alle boten ihre verschiedenen Lesarten des 40 Jahre alten Textes einem überwiegend aus dem Ostteil der Stadt kommenden „besonders erwartungsgeladenen Publikum“ (11) dar. Die Zuhörer hofften vor allem darauf, den „Camus-Text auf gegenwärtige Probleme bezogen“ (11) zu sehen. Leider ist die „engagierte und kundige Diskussion“ (11), von der die Herausgeberin Sändig, die damals Organisatorin und selbst Referentin war, zu berichten weiß, nicht aufgezeichnet worden. Eine solche deutsch-deutsche intellektuelle Auseinandersetzung um Camus vor dem Hintergrund der „noch fast gegenwärtigen, lebendigen Erfahrung“ der Demonstrationen von 1989 und des Falls der Mauer wäre heute, 20 Jahre danach, eine spannende Lektüre. Die Tagungsbeiträge von damals beleuchten ausgehend von einer fundierten Einführung in den Camus-Text durch die Bonner Romanistin Martina Yadel, selbst Spezialistin für Jean Grenier (Freund und ehemaliger Philosophielehrer Camus’), ganz unterschiedliche Aspekte und Interpretationsmöglichkeiten, um deretwillen die späte Publikation des Tagungsbandes 3 mehr als gerechtfertigt ist. Die Slawistin Christa Ebert charakterisiert in ihrem Beitrag Camus’ Auseinandersetzung mit Terrorismus nach dem 2. Weltkrieg als „Auflehnung gegen die Ungerechtigkeit in der Geschichte, die sich schließlich zu einer Gegenüberstellung von Mensch und Geschichte steigert“ (47). Anregung und Material dazu fand Camus auch in der russischen Geschichte und Literatur, vor allem bei dem „Prototypen des modernen „Homme révolté“ (48), bei Dostojewskis Gestalt des Iwan Karamasow. Der Romanist Wolfgang Klein liest den Essay L’Homme révolté als „Kommentar zu den Grundstrukturen der modernen Gesellschaft“ (64). Dabei stellt er in seinem Beitrag „Zynische Revolutionäre? Camus über Hegel, Marx und Lenin“ eine erstaunliche Nähe der Genannten fest, obwohl Camus bei allen dreien die „Versuche, Universalität in geschichtlichen Bindungen zu erringen, als unmenschlich“ verworfen habe: „Prinzipiell fühlte sich Camus im Anspruch auf Menschlichkeit für jeden mit Hegel, Marx und Lenin verbunden“ (65). Klein arbeitet heraus, dass Camus in seinen kritischen bis ablehnenden Betrachtungen und Urteilen „nicht das Ganze der jeweiligen Leistungen“ (75) zu erfassen vermag. Der Brüsseler Philosoph Maurice 2 Brigitte Sändig (ed.): Camus im Osten. Zeugnisse der Wirkung Camus’ zu Zeiten der Teilung Europas. Potsdam, 2000. 3 Damals erschien nur eine hektographierte Ausgabe von der Evangelischen Akademie Berlin. 141 Comptes rendus Weyembergh zeichnet in seinem Beitrag die Entwicklung von Camus’ vielfältiger Auseinandersetzung mit der Philosophie Friedrich Nietzsches nach. Deutlich wird, dass „gerade im Augenblick, wo er Nietzsche gegenüber kritisch wird, […] die Faszination und die Verehrung [fortbesteht]“ (104). Weyembergh nennt Camus einen „linken Nietzscheaner“ (107) und kommt bei seiner Lektüre von L’Homme révolté zu dem Urteil, dass es sich dabei um „ein sehr großes Buch“ handele, das „mit einer Rechtschaffenheit, die der Nietzsches vergleichbar“ sei, „mit den Mythen […] unseres Jahrhunderts“ (99) abrechne. In ihrem Beitrag „Was kann Kunst? “ vergleicht die Romanistin Sändig das Literaturverständnis der beiden zentralen Vertreter des französischen Existenzialismus Camus und Sartre. Sie macht einfühlsam deutlich, dass „Camus’ Bewusstsein von der Tragik des 20. Jahrhunderts spontaner, tiefer“ gewesen sei und „ihn daher auch schutzloser gegenüber den Zweifeln an der Existenzberechtigung der Kunst und des Künstlers“ (115) gemacht habe. Der Flensburger Studiendirektor Horst Wernicke prüft in seinem Beitrag mit dem bewusst provozierenden Titel „Camus - Sozialist“ die Aktualität des politischen Engagements Camus’, das als „Variante eines demokratischen, anarcho-syndikalischen Sozialismus“ „in Deutschland, in Europa, weder richtig erkannt noch gar angenommen“ (128) worden sei. Abschließend setzt sich der Bonner Philosoph Heinz Robert Schlette unter der Überschrift „Camus und „die Griechen““ mit dem Schlusskapitel von L’Homme révolté und der darin entfalteten „geistigen, kulturellen und politischen Vision“ (151) auseinander. Darüber hinaus sucht auch der Leser von heute gerade nach jenen aktuellen Bezügen, auf die die damaligen Tagungsteilnehmer gespannt gewartet und auf die sie in der Diskussion angesichts ihrer „Erfahrungen vom Zusammenbruch des sozialistischen Systems und ihrer seither gewonnenen Wende- und Nach-Wende-Einsichten“ (9) heftig reagiert haben müssen. So wie Camus selbst mit seinem Essay den Versuch unternimmt, seine Zeit verstehen zu wollen, 4 haben die damaligen Referenten der Tagung die Umbrüche ihrer Zeit genau im Blick und reflektieren mit ihren Beiträgen auch Camus’ Frage nach der Verantwortung der Intellektuellen. Christa Ebert konstatiert, Camus habe Fragen gestellt, „die ins Zentrum unserer heutigen Existenz zielen“: „Mit dem Ende des Totalitarismus ist die Eskalation der Gewalt nicht beendet. […] Revolte in unseren Tagen - sollte sie sich nicht darauf richten, darüber nachzudenken, wie der Teufelskreis zu durchbrechen wäre? “ (61) Wolfgang Klein nimmt seine Auseinandersetzung mit Camus auch zum Anlass, um „die jetzt gescheiterte Sozialismusart“ als „unmodern“ zu disqualifizieren: „[Sie] scheiterte nicht an einer verfehlten Wirtschaftspolitik an sich und einer politischen Unterdrückungspraxis an sich. Sondern daran, dass diese Sozialisten sich dem Weg der Vermittlung verweigerten und meinten, ihren naiven Traum von der Einheit anders Wirklichkeit werden lassen zu müssen - durch Zwang.“ (87-88) Horst Wernicke unterstreicht die Tragweite von Camus’ Ideen: „Wo bisher der Sozialismus als Verheißung lockte, stellt Camus die Strapazen einer dauernden Aufgabe ins Licht: Camus liefert nach 1945 schon entscheidende Überlegungen für eine in den siebziger Jahren und heute ganz aktuell gewordene, dringend notwendige neue Ethik, die die „Grenzen des Wachstums“, um es mit einem Schlagwort zu sagen, erkennt und die nicht mehr christlich oder politisch oder irgendwie weltanschaulich gebunden ist, sondern alle bisherigen Ethiken kritisch revidiert und erneuert und die etwa im Sinne einer „skeptischen Ethik“ und „alternativer“ Neuentwürfe in der Gegenwart […] verstanden werden kann […].“ (143) 4 „Le propos de cet essai est une fois de plus d’accepter la réalité du moment, qui est le crime logique, et d’en examiner précisément les justifications: ceci est un effort pour comprendre mon temps.“ (Camus, 1951, Introduction, 13-14.) 142 Comptes rendus Die Tagungsbeiträge regen in jedem Fall dazu an, Camus’ Text wieder neu zu lesen und unsere eigene krisenhafte Zeit kritisch zu analysieren. Sandra Schmidt (Osnabrück) GISLINDE SEYBERT: „DU BRING MIR DAS LEUCHTEN ZUM ROT“ - DEUTSCHE UND FRANZÖSISCHE SPIEL- UND SPRACHRÄUME IN POESIE UND PROSA, BONN, LITE- RATUR ATELIER FRAUENMUSEUM, 2009, 121 S. Die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Gislinde Seybert eröffnet ihr Buch mit einem Gedicht, in dem sie darum bittet, ihr das Rot zum Leuchten zu bringen, um ihre von Farben begleiteten und geleiteten Lebenswege in das Gestern und Heute vor uns auszubreiten. So entsteht ein Textband, der zwischen dem Leser und der Autorin ein emotionales und dynamisches Spiel von Nähe und Distanz, aber auch von Kontrolle und Kontrollverlust aufbaut. An die in deutscher und französischer Sprache evozierenden und dann wieder sehr analytischen Gedichte schließen sich zwei zentrale Texte an, die das „Herzstück“ dieses Buches ausmachen. Der eine ist ein sehr emotionaler Brief an die Mutter, in der die Autorin mit dieser spricht und darin noch einmal ihre Kindheit nachzeichnet, um für sich herauszufinden, wovon diese eigentlich geprägt war. Daran schließt sich der Text über den Vater an, einem Mann, der nicht in der Lage war, mit seinen drei Töchtern und seiner Frau zu kommunizieren und ihnen eine Lebensperspektive zu eröffnen, weil er nach dem Krieg selbst keine für sich sah. Von daher ist dieses Buch nicht nur ein sprachlich und literarisch interessantes Buch, sondern auch ein historisches Zeitdokument, das das Gestern und Heute miteinander verbindet und eine persönliche Lebensanalyse ausbreitet, die von vielen nachempfunden werden kann, weil es ihnen ähnlich ergangen ist. Besonders eindrucksvoll ist an diesem Buch, dass es nicht nur von der Vergangenheit spricht, sondern immer wieder in das Jetzt gleitet und die Autorin uns an ihren Gefühlen und Eindrücken zu der Landschaft, in der sie ihre Gedanken aufschreibt und zu den Menschen, mit denen sie sich heute verbunden fühlt, teilhaben lässt. Ihre in diesem Buch geäußerten Prosatexte und Gedichte sind zu ihrer DNA geworden - das heißt zu dem, was ihre Eigenschaften, ihren Charakter und ihr Handeln bestimmt hat und sie die hat werden lassen, die sie heute ist. Ein Buch, das Beachtung verdient und einem breiteren Publikum zugeführt werden sollte, zumal gerade die Menschen der Nachkriegsgeneration und der Folgegeneration in den Focus genommen werden. Monika Antes (Hannover)