eJournals lendemains 36/142-143

lendemains
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
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2011
36142-143

Christine de Pizans Städtebau

2011
Elisabeth Tiller
ldm36142-1430109
107 Dossier nen zum Thema der Stadt in Text und Bild. In ihrem das Dossier abschließenden Aufsatz zur Ikonografie der Stadt vom Mittelalter bis zur Romantik werden die angesprochenen Aspekte der imaginierten, idealen oder mimetischen Stadt und der Stadt als Wissensform und Modellierung von Lebensweisen und Selbst- Verortungen in wörtlicher Weise augenfällig. Die idealisierenden stadtplanerischen Formen des Kreises, des Zirkels und der Quadratur bilden bis heute Utopien und Entwurfsgrundlagen von realen und allegorischen Städten, in denen ein gelungenes Gemeinwesen seinen Ausdruck finden soll. Die Allegorie des himmlischen Jerusalems und die architektonische Idealstadt von Filarete spielen dabei neben anderen imaginären Konstruktionen eine wiederkehrende zentrale Rolle, die eine erstaunliche Persistenz in der Ikonografie der Stadt darstellt und auch in den Landschaftsmalereien der Romantik noch zu erkennen sind. Die Stadt ist aber auch in extremen Gegensätzen zu beschreiben, wie der Beitrag zeigt; sie ist ideale Cité, aber auch Ort der Revolution und des Terreur, sie ist Allegorie der Apokalypse und ruhiger Rückzugsraum der philosophischen Reflexion etc. Die Ikonografie der Stadt ist in vieler Hinsicht mit dem literarischen Imaginarium der Stadt verknüpft, beide befruchten einander und verweben ihre Legenden der ville imaginée, ihre Sehweisen und Lesarten des imaginaire de la ville. Das vorliegende Dossier ist entstanden auf der Basis einer Sektion, die wir 2010 auf dem deutschen Frankoromanistentag in Essen ausgerichtet haben und deren ausgewählte Ergebnisse wir hier im Rahmen von Lendemains zur Diskussion stellen möchten. Wir bedanken uns bei Wolfgang Asholt für dieses schöne Forum und seine Unterstützung, bei Katia Harbrecht für die zuverlässige Unterstützung bei Korrektur und Redaktion und bei Christel Trouvé für das französische Korrektorat sowie bei Nathalie Crombée für die sorgfältige Redaktion und Herstellung des Textes. 1 Ernst Cassirer: „Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum“, in: Jörg Dünne/ Stephan Günzel (eds.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 2006 [1930], 485-499, 497. Seit einigen Jahren dringt der Raum als Kategorie der (nicht nur) literaturwissenschaftlichen Analyse unter dem Schlagwort des „spatial turn“ zunehmend in den Vordergrund. Vgl. besonders zum „spatial turn“ in den Literaturwissenschaften von Doris Bachmann- Medick: „Spatial turn“, in: Dies.: Cultural turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek, rowohlt, 2006, 284-328, besonders 308-312. 2 Vgl. Alexander Ritter (ed.): Landschaft und Raum in der Erzählkunst, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1975. 3 Vgl. Elisabeth Frenzel: „Die Stadt“, in: Dies.: Motive der Weltliteratur, Stuttgart, Kröner 1999, 667-681. 4 Alain-René Lesage: „Le Diable Boiteux“, in: Romanciers du XVIIIe siècle, Bd. I, Paris, Gallimard, 1960, 267-490 [1807, erweiterte Endfassung 1726, illustrierte Fassung 1737]. 5 Ibid., 277. 6 Ibid., 278. 108 Dossier 7 Volker Klotz: Die erzählte Stadt. Ein Sujet als Herausforderung des Romans von Lesage bis Döblin, Reinbek/ Hamburg, Rowohlt, 1987 [1969], 24. 8 Italo Calvino: Le Città invisibili, Milano, Mondadori, 1996. 9 Vgl. Michel Foucault: „Von anderen Räumen“, in: Dünne/ Günzel (eds.): op. cit., 317-327, sowie Gisela Febel: „Non-lieux und Heterotopien im französischen Gegenwartsroman und -film“, in: Gesine Müller/ Susanne Stemmler (eds.): Raum - Bewegung - Passage. Postkoloniale frankophone Literaturen, Tübingen, Narr, 2010, 195-204. 10 François Rabelais: „L‘Abbaye de Thélème“ in: Ders.: Gargantua und Pantagruel (das vierte Buch/ Le Quart Livre), Frankfurt a.M., Insel, 1974. 11 Vgl. Marc Augé: Non-lieux. Introduction à une anthropologie de la surmodernité. Seuil 1992. 12 Klotz, 19. 13 Ibid., 10. 14 Andreas Mahler: „Vorwort“, in: Ders. (ed.): Stadt-Bilder. Allegorie, Mimesis, Imagination, Heidelberg, Winter, 1999, 7-8, hier: 7. 15 Miriam Lay Brander: „Diskursive Stadtkonstitution im philologischen Dialog der Frühen Neuzeit“, in: Sabine Heinemann/ Rembert Eufe (eds.): Romania urbana. Die Stadt des Mittelalters und der Renaissance und ihre Bedeutung für die romanischen Sprachen und Literaturen, München, Martin Meidenbauer, 2010, 107-126, bes. 108ff. 16 Vgl. Andreas Mahler, „Stadttexte - Textstädte. Formen und Funktionen diskursiver Stadtkonstitution“, in: Ders. (ed.) Stadt-Bilder. Allegorie, Mimesis, Imagination, Heidelberg, Winter, 1999, 11-36. 17 Vgl. Rudolf Behrens: „Räumliche Dimensionen imaginativer Subjektkonstitution um 1800 (Rousseau, Senacour, Chateaubriand)“ in: Mülder-Bach/ Neumann (eds.): op. cit., 27-63. 18 Vgl. etwa entsprechende Beiträge in: Inka Mülder-Bach/ Gerhard Neumann (eds.): Räume der Romantik, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2007. Abbildung 1: Alain-René Lesage: Der hinkende Teufel, Frankfurt a.M., Insel, 1978, S. 372 (Kupferstich-Illustration zu Ausgabe des Diable boîteux von 1756). Résumé: Gisela Febel et Karen Struve présentent dans l’introduction à ce dossier intitulée La ville imaginée - L’imaginaire de la ville leurs réflexions à propos des principes de la construction de la ville dans la littérature française du Moyen Age à l’époque romantique. Le thème de la ville occupe depuis toujours une place de choix dans les textes littéraires de langue française: centre du pouvoir politique et lieu privilégié de rencontre avec l’étranger, la ville y figure comme allégorie du progrès et de la civilisation, comme espace de la communauté et de l’utopie. Tous ces aspects forment un „imaginaire de la ville“ dont les textes littéraires se servent pour construire la ville comme lieu de l’imagination, comme espace affectif et comme espace du savoir. Selon notre hypothèse, la ville littéraire est toujours une „ville imaginée“ qu’elle soit référentielle et bien ancrée dans la ‘réalité’ ou non: de la ville fictive dans Le Livre de la Cité des Dames de Pizan jusqu’à la ville très concrète de Paris dans la littérature allemande des années révolutionnaires, de la ville romantisée par Nerval jusqu’à la disparition de la ville dans le Roman bourgeois de Furetière, de l’idéalisation des villes dans les articles de L’Encyclopédie à la représentation néanmoins artificielle dans l’iconographie urbaine. Un bref parcours à travers les contributions du dossiers donne des clés de lecture pour démontrer ces thèses et conclure cette introduction. 109 Dossier Elisabeth Tiller Christine de Pizans Städtebau 1. Bezugsrahmen Christine de Pizan (ca. 1365 - ca. 1430), 1 ehrgeizige und innovative Autorin im Umkreis des französischen Königshofes, liefert mit dem Livre de la Cité des Dames eine spätmittelalterliche Repräsentation von Stadt, die für den Entstehungszeitraum (zwischen Dezember 1404 und April 1405) in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Qualitäten offeriert. Mit Blick auf die Aspekte und Ebenen des Textes erweist sich nun, im Kontext der aktuellen Diskussionen um die Analysekategorie Raum, insbesondere die raumhistorische Situierung der Cité des Dames als fruchtbar, nachdem während der vergangenen Jahrzehnte vorzugsweise Perspektiven der Women und später der Gender Studies, 2 schließlich historisch-politische Fragestellungen 3 die Pizan-Erschließungen angeleitet hatten. Das Raummodell Stadt, das im Falle literarischer Ausarbeitungen zugleich literarisches Motiv und rhetorische Figur ist, 4 hat aufgrund seiner kulturellen Zentralität in der abendländischen Literatur eine lange Tradition, die bis zu den Gründungstexten des europäischen Literaturkanons zurückreicht. 5 Nämliches gilt für das Motiv der Frauengemeinschaft: 6 Pizans Stadttext kombiniert demzufolge klassische literarische Topoi, die sich im Falle des Livre de la Cité des Dames zu einer Utopie avant la lettre fügen - ein literarisches Genre, 7 das in der Regel mit Stadtmodellen hantiert. Pizan wendet im Rahmen ihres utopischen Stadtgründungstextes 8 den dystopisch unterlegten männlichen Blick auf den als gynäkokratisch desavouierten Amazonen-Topos, wie er in der griechischen Antike geprägt worden war, nun allerdings zur weiblich-eutopisch motivierten Vision einer autonomen, Schutz gewährenden Frauengemeinschaft. Pizan generiert damit eine narrative Plattform, deren Zuschnitt als rundum innovativ bezeichnet werden muss. 9 Diese grundlegenden Eckpunkte des Textes wurden in der Pizan-Forschung bereits vielfach beleuchtet, deshalb an dieser Stelle nur Folgendes: Christine de Pizans Livre de la Cité de Dames ist selbstverständlich als Utopie zu rubrizieren, im Sinne einer raumtheoretischen Kategorie ebenso wie einer literarischen Gattungszuschreibung, gleichwohl die gattungstheoretische Modellbildung in der Regel auf Morus’ spätere Utopia von 1516 referiert. Dass sich die Uneinheitlichkeit der Gattungsbestimmung, sichtbar an den Diskussionen um die Stellung der utopischen Texte der Antike, 10 in der Utopieforschung bis heute nicht verloren hat, muss dabei als inhärentes Moment des Utopischen selbst gewertet werden. 11 Der literaturwissenschaftliche, essentiell räumliche und zugleich über seinen fiktionalen Status entwickelte Utopiebegriff akzentuiert zentral die politische Grundierung des Gen- 110 Dossier res, zum anderen seine sprachliche, mithin imaginäre Natur. Diese sprachlich generierte virtuelle Aktualisierung korrespondiert mit der Konstitution einer konkreten, nach realräumlichen Kriterien formierten (und dabei mehr oder minder narrativ dynamisierten) Räumlichkeit, die prototypisch durch eine Gewährsperson referiert wird. Die utopische Ordnung und der utopische Raum verhalten sich dabei im Medium der Sprache zueinander reflexiv. Eine im vorgestellten Sinne perspektivierte Modellbildung des Utopischen 12 referiert literaturwissenschaftliche Ausdeutungen, die ihrerseits die Virtualität des Modells an einem konkreten Text der frühen Neuzeit festmachen: 13 Morus’ Utopia diskursiviert die ideale Sozialordnung einer fernen, unbekannten Insel, die als Denotation von Abgelegenheit jenseits der in der Regel defizitären Erfahrungswirklichkeit, als atopologische Weltferne eines virtuell-idealen Inselstaates lanciert wird. Das gattungskonstitutive Fehlen einer Ortung im Realraum, das Nirgends des U-Topischen, das sowohl topographisch wie auch topologisch von Bedeutung ist und die vielgestaltige Adaption des Genres ebenso wie dessen essentielle Polysemie begründet, trifft auf Pizans Stadtmodell allemal zu. Pizans Cité des Dames generiert virtuelle Räumlichkeit, also eine Räumlichkeit, die keine Materialisierung im Realraum aufweist, genauer: den nach spätmittelalterlichen Konventionen allegorisch-symbolisch ausgestalteten Raum einer befestigten Idealstadt, deren Gründung, Errichtung und Ordnung expliziert wird. Jede formale Assimilierung an reale Städte unterbleibt, die Raumdarstellung referiert lediglich auf strukturelle Raummodelle (etwa im Sinne topischer Stadtgründungserzählungen). Zudem wird modellkonform kein historisierend-diachronisches Verlaufs-, sondern ein rational begründetes Strukturmodell entwickelt. Die diskursive Etablierung des utopischen Raumes erfolgt genretypisch durch die ausführliche Diskussion seiner normativ begründeten Ordnung, wobei zumeist eine rational abgeleitete und deshalb invariante Idealarchitektur des politisch Denkbaren vorgestellt wird. Pizans Cité des Dames liefert genrekompatibel eine im semantischen Kontext zeitenthobene, invariante Idealstadt als Paradigma des vollkommenen Sozialraumes, die der Herstellung von Harmonie und Glück der Bewohnerinnen dient - aber durchaus räumlich ausdifferenziert wird. Auch dieses Moment entspricht dem literarischen Utopiemodell, das sich an Morus’ ein gutes Jahrhundert später zu Papier gebrachter, nachmals kanonischer Variante orientiert. Morus ruft ja seinerseits im Titel Platons Politeia auf 14 - mithin Verweis auf die gattungskonstitutive, bereits durch die thematische Kongruenz per se begründete Intertextualität, die aus der Antike in die anhebende Neuzeit einfließt. So lässt sich denn auch, zumindest partiell, Pizans explizites Aufgreifen antiker Topoi, Modelle und Verfahren begründen, das jedoch zugleich auf eine italianisierende literarische Praxis verweist, die - abseits der französischen Usancen der Zeit - bereits tiefgreifend von den Innovationsbemühungen der Frühhumanisten des ‘300 geprägt ist: dem Bemühen von Autoren wie Petrarca oder Boccaccio, antike Stoffe, Genera und rhetorische Verfahren wiederzubeleben und zu variieren. 111 Dossier Die Cité des dames, der Titel markiert dies offensiv, ist zudem explizit gegendert. 15 Sprachlich generierter Raum und Erzählperspektive sind geschlechtsspezifisch strukturiert, sind Leitmotiv dieses Textes: Die Cité des Dames wird ausschließlich von Frauen erzählt, geplant, gegründet, erbaut, bewohnt und regiert, ist also auch strukturell und nicht nur metaphorisch weiblich kodiert. Der Text stellt die Cité des Dames als Ausnahme- und Schutzraum dem realräumlichen Territorium normalisierter männlicher Gewalt und Misogynie entgegen, „que les dames et toutes vaillans femmes puissent d’ores en avant avoir aucun retrait et closture de deffence contre tant de divers assaillans“. 16 Errichtet wird eine nach festungsarchitektonischen Gesichtspunkten befestigte Zufluchtstätte, eine urbane Trutzburg: „Quoyqu’elle soit par mains assaulx combatue, elle ne sera point prise ne vaincue“. 17 Diese uneinnehmbare Stadt der Frauen unterliegt einer christlich begründeten gynäkokratischen Ordnung und wird regiert von der Jungfrau Maria, die nach unbefleckter Empfängnis 18 als Gottesmutter den sonst extrakosmischen Gott in sich trug, um diesen dann in die Welt zu entlassen 19 - Maria also, die, durch Schwangerschaft und Gebärakt bereits in der christlichen Heilsgeschichte aller räumlichen Zuordnungen enthoben, auch bei Pizan unkörperlich-uchronotopisch platziert wird. Die Marienfigur als exklusive Ausnahme-Frau der christlichen Weltdeutung dient Pizan als beglaubigte Idealbesetzung für die Regentschaft der Stadt der Frauen und wird gleichsam ,natürlich‘ zur politischen Repräsentantin dieses Staates erhoben. Pizan kreiert folglich einen virtuellen Sonderraum, innerhalb dessen die Gültigkeit von Normen, Konventionen und Gesetzen des realräumlichen Entstehungs-Kontextes, der Pariser Gesellschaft zu Beginn des 15. Jahrhunderts, suspendiert wird, um eine autonome, christlich fundierte Ordnung weiblicher Tugend unter dem Regiment der Gottesmutter zu installieren. Dieser Sonderraum folgt auf einer virtuellen Ebene mithin Kriterien, wie sie Giorgio Agamben für das Dispositiv des Ausnahmezustands beschreibt. 20 Agamben entwickelt seine Theorien zum Ausnahmezustand allerdings in Hinblick auf politische Phänomene des 20. und 21. Jahrhunderts, die - im Vollbild ausgeprägt in der politisch-juridischen Figur des (Konzentrations)Lagers - im Sinne der Entfaltung größtmöglicher staatlicher Souveränität durch Ausweisung von Ausnahmeräumen, welche die Gültigkeit der Gesetzeskraft (der staatlichen Verfassung mit dem Endziel einer bestmöglichen Sorge für das Gemeinwohl) annullieren. Ziel dieser (staats)politischen Strategie ist die Installation von Räumen des rechtsfreien Tötens, in welchen dieser höchste Ausdruck staatlicher Souveränität kulminieren kann. Pizans Cité des Dames als virtueller Sonderraum simuliert eine derartige Operation in diametral-inverser Form, insofern die Stadt der tugendvollen Frauen aus dem Geltungsbereich der sozialen Übereinkunft und deren Gemeinschaftsbildung herausgenommen und in einen raumzeitlichen Sonderstatus der Exterritorialität überführt wird. Dort erlischt (in Agambens Sinn) die Gesetzeskraft des Gesellschaftlichen, die reziproke Bedingtheit von Territorium und Rechtsordnung wird also räumlich durchbrochen. Pizan ist es jedoch darum bestellt, einen virtuellen Raum des freien Lebens zu generieren, der in einer räumlichen Operation männli- 112 Dossier che Gewohnheitsrechte als Basis sozialer Normen außer Kraft setzt und die Macht der weiblich-christlichen Tugend exterritorial und -temporal zu voller Blüte entwickelt. Dieser geschlossene Raum verfügt über ausgeklügelte Inklusions- und Exklusionsmechanismen, die allen Männern und allen nicht ausreichend tugendvollen Frauen für immer den Zutritt zum Raum der Stadt verwehren. Die Cité des Dames findet sich derart zum achronischen Schutzhort gewendet, wie er mustergültig dem symbolischen Raumverständnis des Mittelalters entspricht. Ein leerer, utopischer Ort wird durch Frauen baulich ausdifferenziert und mit einer Ordnung versehen, in einem politischen Akt außerhalb der Zeit konstituiert. Die Bewohnerinnen der Cité des dames sind schließlich, einmal in die Stadt und ihren Rechtsraum eingelassen, gleich ihrer Tugend unsterblich und rekrutieren sich in der Geschichte fort. Pizans weder räumlich noch zeitlich situierte Cité des Dames ist dabei lediglich anteilig Allegorie und gleichermaßen Effekt sozialräumlicher sowie intellektueller Verhältnisse. Pizans Raumfigur pflegt einen immer wieder aufgerufenen Realraum- Bezug, eine stetig evozierte Welthaltigkeit, die auf die Schlechtigkeit der sozialen Abläufe referiert und in ebendiesem Sinne in hohem Grade politisch kodiert ist. Demzufolge wird denn auch reale Lebenswelt - als Nährboden der Ungerechtigkeiten gegen das weibliche Geschlecht - aus dem utopischen Stadtinnenraum, aus dem Stadtkörper 21 verbannt. In dieser Hinsicht folgt Pizans Raumfigur in einem historisch stimmigeren Sinne einer Komplementärfigur des Agambenschen Lager-Paradigmas: der Figur des Asyls, das in den spätmittelalterlichen Gesellschaften noch weite Verbreitung von eminenter sozialer Bedeutung besitzt. Joseph Vogl hat kürzlich die Topologie des Asyls in Hinblick auf das Politische in den Blick genommen, 22 das er typologisch von der wesenhaft räumlich agierenden Politik als „Kunst, einen politischen Körper zu erzeugen“, 23 abgrenzt. Als grundlegendes Problem der Politik scheinen dabei Fragen der Ortung, Ortsverschiebung und Ortlosigkeit (in Bezug auf den Staatskörper) auf, als bedrohliche Prozesse der Dislozierung und der Desintegration, des Heraustretens aus der politischen Ordnung des georteten Gemeinsamen und seiner Prozeduren, der Rechtsförmigkeit - wobei sich das Politische just im Augenblick des (Vertrags)Bruchs offenbare, so Vogl, der Defigurierung, des Übertretens ins Außerhalb des gemeinsamen politischen Körpers. 24 Aus diesem Grunde habe die Politik bereits in der Antike die Institution des Asyls geschaffen, ein territorial verankertes räumliches Korrektiv als rechtsfreien Raum, der Freistatt und Zufluchtsstätte ist: Ort der Sicherheit, der Unverletztheit, der Unantastbarkeit, welcher einen spezifischen politischen, rechtlichen und sozialen Status eingeschrieben erhält. Die griechische Antike gesteht jedem Heiligtum diesen Recht suspendierenden Status zu, der von Verfolgten, Rechtsbrechern, Sklaven in Anspruch genommen werden kann und nicht angetastet werden darf. Es handelt sich um einen Raum, der vor dem Gesetz und seiner Anwendung schützt, an dem Vertriebene und Verfolgte, Delinquenten und Sklaven nicht belangt werden können. 25 Dieser Raum wird zum „Ort der Demarkierung und Demarkation“, zum „Ort der Abtrennung“, zur „Ortschaft, die nichts mit anderen 113 Dossier Orten gemeinsam hat“. 26 Dieser Ort, so Vogl, gerät zum non-lieu in der Polis, 27 zum Ort der Nicht-Zugehörigkeit im Inneren der politischen Gemeinschaft. Deren Bestand soll (nicht nur in der griechischen Antike, sondern ebenso im christlichen Mittelalter) auf ebendiesem Wege gesichert werden, insofern in institutionalisierten Sonderräumen durch interne Suspension des Rechtes dessen gesamtterritoriale Gültigkeit aufrechterhalten werden kann. Pizans politisches Bemühen, ausnehmend tugendvollen, aber missachteten, verstoßenen, geschändeten Frauen einen Ort als bewehrte Stadt einzuräumen, benutzt diesen politischen Topos und geht zugleich über die Figur des Asyls hinaus: Pizan kombiniert den desintegrativen Akt des Politischen als Austritt aus dem Territorium der Gemeinschaft mit der affirmativen politischen Raum- und Rechtsfigur des Asyls - einer klassischen Heterotopie im Sinne Foucaults 28 - wobei der Ausnahmezustand des Asyls in einem politischen Gründungsakt umgehend räumlich und politisch verstetigt sowie mit einer Rechtsordnung ausgestattet, also einem (staats)fundierenden Akt der Gemeinschaftsstiftung unterzogen wird. Der Staat der Frauen allerdings schließt sich ab, selektiert Bewohnerinnen und verweigert Interaktion mit exterritorialen Anderen, verabsolutiert den Ausnahmezustand also zum politischen Idealraum, dessen Komponenten nicht mehr realräumlich verankert, sondern ausschließlich symbolisch relationiert sind. Pizan transponiert den heterotopisch lokalisierten, sozial regulativen Ausnahmeraum des Asyls vielmehr zur diskursiven Komplementärfigur der Utopie, der Stadtutopie: wiederum im Sinne Foucaults, als nicht realräumlich lokalisierte Raumweise, die sprachlich generiert wird und die normative Topographie der politischen Gemeinschaft auf einer narrativen Ebene konstrastiv-exzentrisch übersteigt. Foucault beschreibt dies in der Préface zu Les mots et les choses (1966) wie folgt: „elles [les utopies] sont dans le droit fil du langage, dans la dimension fondamentale de la fabula“, 29 und präzisiert: „Les utopies consolent: c’est que si elles n’ont pas de lieu réel, elles s’epanouissent pourtant dans un espace merveilleux et lisse; elles ouvrent des cités aux vastes avenues, des jardins bien plantés, des pays faciles, même si leur accès est chimérique“. 30 Das Moment des Tröstenden wird zum entscheidenden, weil evasiven Potential dieser „Diskursmodalität“ 31 befördert, als Kontrast zur beunruhigenden, unterminierenden Macht der für die Organisation von Gesellschaft gleichwohl unerlässlichen, strategisch hochcodierten Heterotopien, deren Gehalt an „Politischem“ die virtuelle Harmoniestiftung des Utopischen negiert. Mit Foucault würde Pizan also explizit heterotopisch-heterochronische Raumweisen wie das Asyl und deren politische Potentiale von der realräumlichen Ebene sprachlich ins Virtuelle transferieren und in eine pazifizierende uchronische Utopie verwandeln. Deren narrative Gestalt wird sodann Pracht und Frieden literarisch lokalisieren und als epistemische Figur Weltdeutung, Diskurse und Alltagspraktiken regulierend anleiten. 114 Dossier Abb. 1: Harley MS 4431, British Library, London, 290r Ausschnitt 2. La Cité des Dames Le Livre de la Cité des Dames aus dem Jahre 1405 ist allegorischer Text, ist politischer Text, ist vor allem literarisch-utopischer Stadttext, der in einem konventionellen Sinne dem symbolischen Raumverständnis des Mittelalters entspricht. Dieser Stadttext trägt durch die starke Betonung des konstruktiven Moments der Errichtung der Stadt allerdings bereits klar humanistisch inspirierte, frühneuzeitliche Züge. Pizan operiert zudem verfahrenstechnisch nicht mit einer Traumvision, wie sie zahlreichen Texten des Mittelalters zugrunde liegt, namentlich dem für die Autorin so bedeutenden Roman de la Rose. Vielmehr hält sich die Struktur an das Divina Commedia-Muster der Boten- und Führerfigur, die sich zum Ich-Sprecher als alter ego des Autors gesellt, um eine christlich codierte Erkenntnis-Reise in virtuelle Symbolräume anzutreten. Im Falle des Livre de la Cité des Dames kommen der ob der misogynen Ausfälle der Zeitgenossen niedergeschlagenen Ich-Sprecherin Christine drei himmlische Damen zur Hilfe, „trois dames couronnees, de tres souveraine reverence“, 32 „choses celestielles“, 33 wie es im Text heißt, die, wie sich herausstellen wird, trotz himmlischer Herkunft allesamt vom Fach sind (Abb. 1). Es handelt sich um die Allegorien von Vernunft, Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit, welche die Ich-Specherin zur Städtebauerin werden lassen. Dame Rayson, versehen mit dem allegorischen Attribut des Spiegels, der Wesen, Eigenschaften, Verhältnisse und Maße der Stadt enthält, unterweist die Ich-Sprecherin im ersten der drei Bücher der Cité des Dames, vom Grundstein an die Stadtmauern zu errichten. Dame Droitture trägt ein funkelndes Lot mit sich, um im zweiten Buch eine idealgeometrische Stadtanlage aufrichten zu helfen. Dame Justice schließlich besitzt als Attribut eine goldene Waagschale und wird die neu erbaute Stadt im dritten Buch mit geeigneten Frauen bevölkern: „Ainsi, belle fille, t’est [donné] la prerogative entre les femmes de faire et bastir la Cité des Dames, pour laquelle fonder et parfaire, tu prendras et puiseras en nous trois eaue vive comme en fontaines cleres, et te livrerons assez matiere plus forte et plus durable que marbre se elle a cyment ne pourroit estre. Si sera ta cité tres belle sans pareille et de perpetuelle duree au monde“. 34 115 Dossier Diese Schutzstadt wird unter göttlicher Anleitung mit bereitgestelltem Material durch die Ich-Sprecherin als auf ewig uneinnehmbare, auch ästhetisch anspruchsvolle Trutzstadt errichtet, als politischer Akt, der die Ich-Sprecherin (und damit das gesamte weibliche Geschlecht) von ihrer Trübsal erlösen soll. Dieser paradiesisch-urbane Sonderraum wird seine Bewohnerinnen zudem - so der biopolitische Anteil am utopischen Konstrukt - von ihren sozial normierten Körperpflichten, dem Gebären, befreien und erfüllt damit Bedingungen, die für Foucault wesenhaft den Status der Utopie als das Andere des Körpers ausmachen: 35 gründend in der Extra-Normativität der utopischen Ordnung und ihrer Abgelegenheit von der Erfahrungswirklichkeit, die, so Foucault, die Drohung von Schmerz und Krankheit, also den Tod, zu bannen vermag. Fortpflanzung, ein zentraler utopischer Topos, welcher die biopolitische Sorge um die Dauer der utopischen Gemeinschaft in der Zeit betrifft und genretypisch detailliert geregelt wird, entfällt also bei Pizan und markiert in paradoxaler Wendung gerade die Weiblichkeit der Utopie, die Weiblichkeit des utopisch-uchronischen Stadtkörpers. Das weibliche Asyl verspricht Befreiung auch vom Gebärzwang, dessen sozialpolitische Erfüllung den Bewohnerinnen als Moment des Auszugs aus dem männlich dominierten Gewalt- Raum, aus dem normierten Sozialen erlassen wird. Pizans „Wunschraum“, von dem Margarete Zimmermann in Anlehnung an Alfred Doren spricht, 36 referiert vielmehr auf abstrakte christliche Werte, die in der Stilisierung realräumliche Defizite aufwiegen. Der strategisch durchdrungene Raum der Cité des Dames ist also allegorisch verfasst, christlich kodiert sowie radikal gegendert - und wird als leuchtende Bastion weiblicher Tugend innerhalb eines moralischen Registers ästhetisiert. Pizan variiert die Versprechen des Himmlischen Jerusalem der Offenbarung des Johannes, die bereits mit ähnlicher Semantik körperlose Seeligkeit in der virtuellen, der prachtvollen, der weithin leuchtenden Himmelstadt visioniert. Pizans Gedankenexperiment referiert dabei allerdings an zentraler Stelle auf soziale Normen, die das Thema weiblicher Tugend im Sinne des Keuschheitsgebotes abstecken und derart als negatives re-writing des zeitgenössischen Frauenbildes funktionieren. Die ethische Grundlage des Perfektibilitätsgedankens der Cité des dames suspendiert also zugleich in einem heterotopischen Sinne realräumliche männliche Präsenz sowie weltliche Versuchung zur ,Sünde , die im utopischen Registerwechsel durch die Aufrichtung eines von körperlichen Verrichtungen gereinigten Stadtkörpers räumlich-epistemisch annulliert werden. Pizans virtuelle Idealstadt wird nun nicht im Himmel, sondern auf einem Terrain errichtet, das der Ich-Sprecherin wohl vertraut ist, auf dem Felde der Literatur, wie Christine alsbald von ihren Helferinnen erfährt: „Or sus, fille! Sans plus attendre allons ou champ des escriptures: la sera fondee la Cité des Dames en pays plain et fertille, la ou tous fruys et doulces rivieres sont trouvees et ou la terre habonde de toutes bonnes choses. Prens la pioche de ton entendement et fouys fort et faiz grant fosse tout par-tout ou tu verras les traces de ma ligne, et je t’ayderay a porter hors la terre a mes propres espaules“. 37 Die Spitzhacke ihres Verstandes wird die 116 Dossier angehende Baumeisterin in den Stand versetzen, diese paradiesische Logos-Stadt narrativ auszudifferenzieren. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der performative Anteil an der Narration der Cité des dames, also die räumliche Konkretisierung dieser Stadt durch Nacherzählung und Serialisierung von exemplarischen Frauen-Viten, die als Bausteine dienen, zugleich ein intertextuell konstituiertes Archiv generiert, das als lieu de mémoire, 38 als weiblicher Erinnerungsraum fungiert - und derart, so Betsy McCormick, eine „mnemonic city“ 39 generiert. Auch zu diesem Aspekt der Cité sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Überlegungen vorgelegt worden: 40 Christine de Pizan produziert mit diesem Text folglich auch einen allegorisch strukturierten Wissensraum, ein gedendertes Geschichts- und Geschichten-Archiv, das aus eben diesen Gründen immer wieder als didaktisches Werk klassifiziert wird - als Biographiensammlung, die zugleich Trostbuch für Frauen sei, Argumentationsanleitung ebenso wie Erziehungsprogramm. Pizans Narrativierungen tugendvoller Frauenviten referieren zudem auf räumliche Strategien, die der klassischen Rhetorik entstammen. Pizan bedient sich offensichtlich der Verfahren der antiken ars memoria und deren architekturgestützter Techniken der Mnemonik. 41 Pizan simuliert diese räumlich-bildlich geschulte Gedächtnismechanik im geringfügig umgedeuteten rhetorischen Modus der Errichtung der Cité des Dames: für welche Biographie auf Biographie erzählt wird, die, durch den Erzählakt allegorisch zu Steinen transformiert, aufeinander geschichtet und von der Wort-Baumeisterin zu Stadtmauern, Toren, Straßen, Plätzen, Palästen, Kirchen und Häusern ausgebildet werden. 42 3. Pizans Baukonzept Christine de Pizan wird 1365 in Venedig als Tochter des nachmaligen französischen Hofastrologen und -astronomen Tommaso da Pizzano geboren und lebt seit ihrem fünften Lebensjahr im Umkreis des französischen Hofes. Ihr bikultureller Horizont fließt immer wieder in ihre Texte ein. Neben dem französischen Literaturkanon sind es die mittelalterlich tradierten antiken sowie die religionsphilosophischen Klassiker, die ihr in der königlichen Bibliothek zugänglich sind. Hervorzuheben ist hier insbesondere Augustinus’ De civitate dei (413-418), eine Apologie des christlichen Glaubens gegen die zeitgenössischen Anwürfe, der Niedergang Roms sei dem erstarkenden Christentum zu danken. Augustinus entwickelt in De civitate dei ein geschichtsphilosophisches Raummodell, das über die heilsgeschichtlich dynamisierten, rückkoppelnden Pole des irdischen Weltstaates (der Eigenliebe und des Bösen) sowie des Gottesstaates (der Liebe und des Glücks) ausgesteuert ist: ein Geschichtsmodell, das fast ein Jahrtausend für das Abendland maßgeblich bleiben und noch Pizans Textstruktur prägen wird. 43 De civitate dei wird im Übrigen zwischen 1371 und 1375 im Auftrag von Charles V von Raoul de Presles unter dem Titel La Cité de Dieu ins Französische übersetzt und exklusiv für die königli- 117 Dossier che Bibliothek ausgestattet. Schließlich dienen Pizan selbstredend italienische Autoren wie Dante sowie die Frühhumanisten Petrarca und Boccaccio als Referenztexte, wobei sie für die Cité vorzugsweise Boccaccios De claris mulieribus (1361/ 1375) als Steinbruch in Gebrauch nimmt. Pizans kompilatorisch-intertextuell generierte Werke, die sie seit 1399 vorlegt, begleiten zeitgeschichtlich den Beginn dessen, was man als frühneuzeitliche Raumrevolution bezeichnen kann: Rezeption und Fortentwicklung der antiken Baukunst, die Erprobung der linearperspektivischen Konstruktionsverfahren durch den Florentiner Architekten Filippo Brunelleschi seit etwa 1400 sowie deren theoretische Systematisierung durch den Humanisten Leon Battista Alberti seit 1435. Pizans letzter bekannter Text entstammt dem Jahre 1429: Die Schaffenszeit der französischen Autorin flankiert also das Anheben der architektonisch-künstlerischen Erprobung der humanistisch inspirierten, antikisch genährten Epistemisierung sowie der linearperspektivisch-geometrischen Systematisierung von Raum - eine (italienische, auch im Flämischen einsetzende) Entwicklung, von der Pizan vor 1429 allerdings kaum ausführliche Kunde haben kann. Der Text der Cité des Dames folgt vielmehr dem dualistischen mittelalterlichen Raumkonzept, auf welches das monistische, homogene physikalische Raumkonzept der Neuzeit folgen wird. 44 Der raumsymbolische Dualismus des Mittelalters geht in der Synchronizität eines auf die Materialität des Realraumes bezogenen Raumkonzeptes und eines spirituellen Raumbegriffes auf, wie es jenseits der augustinischen Prägung prototypisch beispielsweise noch in Dantes Divina Commedia von 1321 anzutreffen ist: bevor die anhebende, just aus diesem Grunde frühneuzeitliche Kunst dieses duale Konzept sukzessive monistisch zersetzen wird. Nach Giotto wird für die Repräsentation von Raum der Realraum zum alleinigen Referenzrahmen der Darstellung erwachsen, christlich codierte und gewichtete Symbolräume verlieren sukzessive an strukturierendem Einfluss. Die Monopolisierung des Realraumes als Referenzkonzept medialer Repräsentationen von Räumen und Raumfiguren markiert ein zentrales Kennzeichen dessen, was kulturhistorisch mit der säkularen Kultur der Renaissance als Beginn der frühen Neuzeit verortet wird. 45 Christine de Pizan ist demzufolge raumhistorisch der Vormoderne zuzuordnen und agiert, wiewohl bereits humanistisch beeinflusst, im mittelalterlichen Raum-Dualismus, der dem Livre de la Cité de Dames einen epistemischen Anker verleiht. Während utopische oder allegorische Stadträume in der Antike in der Regel idealgeometrisch strukturiert sind, auf Matrices wie Kreis und Quadrat referieren und mit realräumlicher Städtebaupraxis interferieren, gilt für Städtedarstellungen im Mittelalter Folgendes: Städtebaulich wird die orthogonale Stadtanlage nach dem Untergang des Römischen Reiches im Abendland erst wieder im 12. Jahrhundert aufgegriffen, in den über tausend europäischen Stadtneugründungen zwischen Mitte des 12. und Mitte des 14. Jahrhunderts jedoch nicht systematisch angewendet. Christine de Pizan referiert mit der Gründung und Errichtung der Cité des Dames also auf ein Motiv, das seit Ende des 12. Jahrhunderts inhärenter Bestandteil 118 Dossier Abb. 2: Harley MS 4431, British Library, London, 323r der Erfahrungswelt mittelalterlicher Gesellschaften ist. Ikonografisch wird dabei Jerusalem als epistemisches Zentrum des christlichen Weltbildes, als Ziel der seit dem 12. Jahrhundert durchgeführten Kreuzzüge, schließlich als terrestrisches Gegenstück des Himmlischen Jerusalem zum Modell idealer Stadtbildlichkeit, zum Zentrum des um den Templum Salomonis konzentrisch angeordneten Erdkreises zugerichtet. Topo- oder ikonografisch bevorzugen mittelalterliche Städtedarstellungen deshalb kreisförmige Umgriffe, legen aber im Gegensatz zu den späteren, frühneuzeitlichen Ausarbeitungen auf idealgeometrische Symbolisierungen oder die mathematisch basierte Ästhetisierung der forma urbis in der Regel keinen ausgeprägten Schwerpunkt. Christine des Pizans Stadtrepräsentation folgt diesen mittelalterlichen Gepflogenheiten, tendiert jedoch bereits in evidenter Weise zur Ausdifferenzierung der Stadtelemente und deren performativer Verbindung, sodass durchaus von einer einsetzenden Ablösung tradierter Darstellungsverfahren gesprochen werden kann - gleichwohl die spätmittelalterlichen Techniken des Imaginären den Textduktus prägen. Die Rahmenfiktion des Livre de la Cité des Dames ruft eingangs eine zeitgenössische Pariser Szenerie auf, eine intellektuelle Konversation zwischen ausnehmend gebildeten und selbstbewussten Frauen, die dialogisch verfasst ist. Aufgegriffen werden höfische Diskurs-Konventionen, die in einer Art Metadiskurs durch fortlaufende Kommentare einer übergeordneten Erzählinstanz angeordnet werden. In den heterodiegetisch kommentierten Dialog werden schließlich metadiegetische Erzählungen eingelagert, die als Diskussions- und Baumaterial den asylschaffenden Stadtkörper konstituieren werden. Die Diskussionen der Rahmenfiktion zwischen der Ich-Sprecherin und den drei edlen Damen kreisen argument- und beispielreich um die männlich suggerierte Schlechtigkeit der Frauen, die zu widerlegen die Diskutantinnen angetreten sind, - das zentrale Moment der „Welthaltigkeit“ dieses Textes, insofern hierbei fortwährend auf die 119 Dossier außertextuelle Erfahrungswirklichkeit der intellektuellen Autorin verwiesen wird. Aspekte der in den (männlichen) Diskursen des Realraumes postulierten weiblichen Minderwertigkeit werden dialogisch problematisiert, von den dames celestes jeweils argumentativ entkräftet und mit Gegenbeispielen aufgewogen, die als exempla, 46 als Viten tugendvoller Frauen, die devalorisierenden Diskurskonventionen des sozialen Raumes narrativ entkräften. Dies bleibt der textinternen Christine überlassen, die jeweils exemplarische Viten zu Erzählungen transformiert, vermittels derer die virtuelle Stadt sich - Stein auf Stein - sprachlich aktualisiert (Abb. 2). Die Ich-Sprecherin Christine überführt also fiktionsintern die fiktionale Mündlichkeit der gelehrten Diskussion in fiktionale Schriftlichkeit, die allegorisch die Stadt der Frauen konstituiert und zugleich, als realer Text, die fiktive Konversation im Realraum materialisiert; so gesehen generiert Pizan also eine zweifach virtuelle Stadt, die lediglich im Denkraum der Rezipienten der Cité des Dames figürlich werden kann: den Komplizen der Autorin, ohne deren Mithilfe der Stadtbau in all seiner Komplexität nicht ins Werden kommt. Das Baumaterial für das Stadtprojekt wird von den dames celestes geliefert, metaphorisch eingeführt als klares Wasser und Baustoff, so dame Rayson, der Marmor und Mörtel zusammen an Härte weit übertrifft: „mortier durable et sans corrupcion a faire les fors fondemens, et les gros murs tout a l’environ lever, haulx, larges, et a grosses tours et fors chastiaulx fossoyés, bastides donnés et vrayes, tout ainsi qu’il appartient a cité de forte [et] durable deffence. Et par nostre devise, tu les asseras en parfont, pour plus durer, et puis les murs sus tant hault esleveras qu’ilz ne craindront tout le monde“. 47 Die sukzessiv vertexteten weiblichen Tugend-Viten werden demzufolge als Baumaterial sich selbst zum ewigen Gemäuer, insofern die narrativ aktualisierten Figuren schließlich die Cité des Dames zeitenthoben bewohnen werden. Zuvor allerdings wird die allegorische Festungsstadt nach realräumlichem Vorbild ausdifferenziert: Gräben werden gezogen, breite und hohe Festungsmauern mit Türmen aufgerichtet, Festungswälle und Bastionen vorgelegt. Der Erzählakt generiert tief im Grund befestigte und hoch aufragende Bollwerke, die durchaus dem zeitgenössischen Stand des Stadt- und Festungsbaus entsprechen und Kriterien berücksichtigen, die im Zuge waffentechnischer Neuerungen in den folgenden Jahrzehnten innerhalb der festungsbautheoretischen Fachdiskurse immer wichtiger werden. Diese zeitgenössisch virulente Problematik ist Christine de Pizan in ihrer militärischen, technischen und politischen Tragweite im Übrigen vollständig zugänglich. In einem wenige Jahre später verfassten Text wird sie diesen Stoffbereich noch einmal explizit aufgreifen, im Livre des Fais d’armes et de chevalerie von 1408/ 09, das sich in kompilatorischer Anlehnung an antike Militärtheoretiker dem Sektor der Kriegskunst und des Festungsbaus, der Befestigung des urbanen Schutzraumes (und dessen Bezwingung) in allen seinen Belangen widmen wird - eine der vielen thematischen Grenzüberschreitungen der Autorin, die offensichtlich planvoll und vielgestaltig mit der zeitgenössischen Rollennorm zu kollidieren beliebt. 120 Dossier Abb. 3: Harley MS 4431, British Library, London, 290r Pizans Stadt der Frauen wird durch eine Bastionär-Umfriedung umfangen, die mit Hilfe der wohl von Pizan selbst inspirierten Illuminationen zum Text als in einem symbolischen Sinne kreisförmig identifizieren dürfen (Abb. 3); der Text selbst schweigt sich zu Grundriss und Stadtstruktur aus. Fehlende geometrische Präzisierung wird jedoch durch wiederholte Verweise auf die Performanz des systemischen Stadtbaus aufgefangen, etwa mit Bezug auf die Aufgabe des Lots der dame Droitture, mit Hilfe dessen der Grundriss der Stadt sowie jedes einzelne Gebäude, die Straßen und Plätze berechnet und vermessen werden: „Sy saches qu’elle [ceste ligne] te servira a l’ediffice mesurer de la cité qui a fayre t’est commise: et bien besoing en aras pour laquelle ditte cité maisonner au par dedens, faire les haulx temples, les palais compasser, les maisons et toutes choses couvenables l’aidier a pueppler. Je suis venue en ton aide, si sera tel mon office. Or ne t’esmayes pour la grant largesce et long circuite de la closture et de la muraille, car, a l’aide de Dieu et de nous, bien et bel la pueppleras et ediffieras, sans riens vague y delaissier, de belles et fortes mensions et heberges“. 48 Nichts also ist dem Zufall überlassen, die drei Damen erweisen sich als erfahrene Stadtplanerinnen, die ein schlüssiges, verdichtetes urbanistisches Konzept vermitteln, das keinerlei Leerräume enthält. Sobald - so der Text - die Zuordnungen stimmig gefügt und die Gebäude, die öffentlichen Straßen und Plätze wohlproportioniert, also ästhetisch ausgewogen und den architekturtheoretischen Vorgaben folgend, allemal aber dem hohen Zweck der Stadt gemäß ausgeführt sind, gewinnt die Cité des Dames schließlich ihre außerordentliche Gestalt: „Des or me semble, tres chiere amie, que bien est avancié nostre ediffice et la Cité des Dames hault maisonnee tout au long de ses larges rues et les palais royaulx fort ediffiez et ses donjons et tours deffensables haulx levez et droiz que de loings ja les puet en veoir“. 49 Durch die Stadt führen breite Straßenachsen, gesäumt von prächtigen Palästen - was keineswegs den zeitgenössischen Gepflogenheiten entspricht, hier dominieren die engen, meist verwinkelten Gassen. Akzentuiert wird, im Rückgriff auf die biblische Ausgestaltung des himmlischen Jerusalem, vielmehr ein urbanistisches Stilmittel, das erst Jahrzehnte später im Zuge der Ausbildung einer klassizistischen Baukunst sowie geometrischer Stadtsystematisierungen in Italien tatsächlich zum Einsatz kommen wird. Pizans Anreicherung der Vision mit Wehrtürmen und Bergfrieden holt die Szenerie allerdings rasch wieder in die spätmittelalterliche Erfahrungswirklichkeit des Realraumes zurück. Die imaginierte Pracht der Cité des Dames konstituiert sich folglich aus städtebaulichen Elementen, 121 Dossier die zum einen der biblisch-antiken Stadtbildlichkeit entstammen, schließlich dem zeitgenössischen Stadtbild entsprechen, zum anderen auf wenige Jahrzehnte später tatsächlich realisierte Entwicklungen vorgreifen, die zwar zu Beginn des 15. Jahrhunderts durch den humanistischen Zugriff auf antike Texte schon denkbar sind, dabei aber dem Nachdenken über die Idealstadt verhaftet bleiben. Die repräsentierte urbane Topographie der Stadt der Frauen ist jedenfalls zukünftiger Schauplatz des narrativ initiierten „nouvel royaume de Femenie“, 50 das durch die Herrschaft der Jungfrau Maria, über der Stadt thronend wie Gott im hellstrahlenden Jerusalem der Apokalypse, ewig währen wird. So ist diese Cité des Dames nicht zuletzt, und didaktisch ist das durchaus schlüssig, da aus klarer, reinster und strahlender Tugend erbaut, auch Spiegelstadt: „si reluysant que toutes vous y povez mirer“, 51 wie das Ende des Textes vermeldet, „de laquelle se puet dire: Gloriosa dicta sunt de te, civitas Dei“. 52 Die derart augustinisch nobilitierte Spiegelmetapher darf durchaus auch auf den Text selbst Anwendung finden: ein Konvolut wirkmächtiger exempla, die gebündelt auf die Leserinnen zurückstrahlen sollen. Auch in diesem Sinne liefert die Cité des Dames das Präludium zu einer Entwicklung, die seit Mitte des 15. Jahrhunderts vor dem dann neuplatonisch motivierten Primat der formalen Perfektion einer Stadt als Widerspiegelung gesellschaftlicher Vollkommenheit zahlreiche Idealstadt-Traktate bebildern wird, schließlich Stadt- und Staatsutopien entstehen lässt. Pizans virtuelle Asyl-Stadt referiert jedoch eher auf Aristoteles, der als politischen Sinn der polis den synoikismos nennt, den Zusammenschluss mehrerer oikoi zur polis, zum Staat, „eine Gemeinschaft der Gleichgestellten zum Zwecke des bestmöglichen Lebens“. 53 4. Autoreferentielle Metaphorik Christine de Pizan diskutiert in der Cité des Dames nicht nur die soziale Stellung der Frau sowie männlich geprägte Diskurse zum Thema, die sie ein weibliches Asyl projizieren lassen, das in der Gründung der tugendleuchtenden weiblichen Idealstadt sprachlich generiert und in Gebrauch genommen wird. Sie problematisiert zudem ausführlich den weiblichen Schreibakt und damit die weibliche Autorschaft, die ja eigentliches Agens dieser Raumproduktion ist. Der Autorin spielt die Bauthematik dabei eine Metaphorik in die Hände, die sie, einmal als selbstbewusst geschmiedeter Fehdehandschuh in den Ring geworfen, auch in anderen Texten reichlich zur Anwendung verbringen wird: das Bauen dient ihr immer wieder als Bildlichkeit der eignen, weiblichen Produktivität, wobei derart auch passgenau das Verfahren der Kompilation umschrieben ist, wie es den literarischen Arbeitsmodus der Zeit kennzeichnet. Nicht zuletzt gereicht der Autorin ganz offensichtlich die Metaphorik des Bauens als semantisches Register, um ihre marginale Position im zeitgenössischen Literaturbetrieb abgestützt zu übersteigen. 122 Dossier Ein kurzer Auszug aus Pizans Livre des fais et bonnes meurs du sage roi Charles V (1404), 54 ein weiteres ihrer Gedächtnisbücher, mag dies abschließend verdeutlichen. Im Abschnitt „La chevalerie“ wird hier explizit die Realisierung eines Textprojektes mit einem Bauvorhaben analogisiert: „[…] tout ainsi comme l’ovrier de architeture ou maçonnage n’a mie fait les pierres et les estoffes, dont il bastist et ediffie le chastel ou maison, qu’il tent à perfaire et où il labeure, non obstant assemble les matieres ensemble, chascune où elle doit servir, selon la fin de l’entencion où il tente, […] tout ainsi vrayement n’ay je mie fait toutes les matieres, de quoy le traittié de ma compilacion est composé; il me souffist seulement que les sache appliquer à propos, si que bien puissent servir à la fin de l’ymaginacion, à laquelle je tends à perfaire“. 55 In diesem frühen Text finden sich bereits thematische Digressionen, die an Aristoteles, Vegetius, Frontinus, Valerius Maximus und andere antike Experten angelehnte Ausführungen zu Militärtechnik, -logistik und Kriegskunst beinhalten. Dies wird erneut und nun in umfassendem Sinne im Livre des Fais d’Armes et de Chevalerie von 1408/ 09 der Fall sein. Christine de Pizan greift im zweiten Buch des Livre des Fais d’Armes et de Chevalerie einmal mehr das Thema Stadt auf, deren Stadtmauern und Befestigungsanlagen für den Kriegs- und Belagerungsfall gerüstet sein müssen. Während die allegorische Stadtutopie der Cité des Dames die Uneinnehmbarkeit der Stadt durch das Material der Stadtmauern, Türme und Tore gewährleisten kann, werden nun reale zeitgenössische Erfordernisse einer Stadtgründung erörtert, die, abgesehen von seit Jahrtausenden tradierten prinzipiellen Vorgaben, insbesondere dem neuesten Stand der Kriegswaffentechnik geschuldet sind. Die versammelten militärisch-bautechnischen Anweisungen zielen auf den militärischen Gebrauch im Realraum und umfassen strategisch-taktische Positionierungsvorschriften für Stadtgründungen, detaillierte militärtechnische Ausführungen zur Stadtbefestigung und Bastionierung, Strategien für den Belagerungsfall - und bilden dergestalt das pragmatische Gegenstück zum virtuellen Stadtbau der Cité des Dames, der literarische Übung war. Die Autorin stellt ihr Expertentum selbstbewusst zur Schau, in dem sie sich im Prolog, unter Ingebrauchnahme des rhetorischen Registers, auf eine Stufe mit der Göttin Minerva verortet. Minerva, Göttin der Waffen und der Kriegskunst, Erfinderin der Schmiedetechniken und damit der Kunst, Rüstungen, Harnische, Helme und Schilde zu verfertigen, gilt als erste Militärtheoretikerin, die Kriegswissen um Schlachtordnungen und -taktiken in die Welt entließ. Allein ihr fühlt sich nun die Ich-Sprecherin Christine verpflichtet: Die Kriegskunst und ihre theoretische Aufarbeitung gerät zum originär weiblichen Geschäft, zur Angelegenheit zweier höchst geistreicher Frauen, die eine weitere Gemeinsamkeit teilen: beider Herkunftsland Italien. War die Ich-Sprecherin Christine in der Cité des Dames noch von höheren Mächten, den Damen Rayson, Droitture und Justice, auserwählt worden, die Stadt der Frauen zu errichten, so hat sich die Autorepräsentationsstrategie im Livre des Fais d’Armes et de Chevalerie um eine weitere Nuance verschoben: die Sprecherin Christine verortet sich selbst nun neben einer jener antiken Gottheiten weiblichen Geschlechts, durch welche der Menschheit erst Zivilisation und Kulturleistun- 123 Dossier gen zugänglich gemacht wurden - untermauert durch eine Genealogie, die sich im gemeinsamen Geburtsland manifestiert: „et je suis“, heißt es im Prolog, „comme toy femme ytalienne“. 56 In just jenem planvollen Sinne, wie er die Baukunst charakterisiert, wird Christine de Pizan also auch zur keineswegs bescheidenen Baumeisterin des eigenen Nachruhmes, der sich nicht von ungefähr vor allem über ihrem heute berühmtesten, dem utopischen Stadttext der Cité des Dames, erhebt. Wir haben somit einen Text vor uns, der die Produktion von Raum im Medium Literatur ehrgeizig, komplex und mehrdimensional rückkoppelnd vorführt: als Bau einer Stadt durch eine Baumeisterin größtmöglicher Modernität. 1 Zu Christine de Pizan sind in den letzten Jahren zahlreiche Publikationen erschienen, etwa Françoise Autrand: Christine de Pizan. Une femme en politique, Paris, Fayard, 2009; Juliette Caluwé-Dor/ Liliane Dulac/ Marie-Elisabeth Henneau (eds.): Christine de Pizan. Une femme de science, une femme de lettres (actes du colloque de Liège, 11-15 janvier 2005), Paris, Champion, 2008; Liliane Dulac et. al. (eds.): Desireuse de plus avant enquerre... Actes du VI e Colloque International sur Christine de Pizan (Paris, 20-24 juillet 2006); volume en hommage à James Laidlaw, Paris, Champion, 2008; Maria Giuseppina Muzzarelli: Un’italiana alla corte di Francia. Christine de Pizan, intellettuale e donna, Bologna, Il Mulino, 2007; Karen Green (ed.): Healing the Body Politic. The Political Thought of Christine de Pizan, Turnhout, Brepols, 2005; Barbara K. Altmann (ed.): Christine de Pizan: A Casebook, New York, Routledge, 2003; Evelyne Morin-Rotureau: Christine de Pizan, Paris, PEMF, 2003; Kate Langdon Forhan: The Political Theory of Christine de Pizan, Ashgate, Aldershot, 2002; Angus G. Kennedy et. al. (eds.): Contexts and Continuities. Proceedings of the IVth International Colloquium on Christine de Pizan (Glasgow 21- 27 July 2000). Published in Honour of Liliane Dulac, Glasgow, University of Glasgow Press, 3 vols., 2002; John Campbell (ed.): Christine de Pizan 2000. Studies on Christine de Pizan in honour of Angus J. Kennedy, Amsterdam u.a., Rodopi, 2000; Hicks, Eric et. al. (eds.): Au champ des escriptures. IIIe Colloque International sur Christine de Pizan, Paris, Champion, 2000. 2 Cf. etwa zuletzt Rosalind Brown-Grant: „Christine de Pizan as a Defender of Women“, in: Altmann, op. cit., 81-100; Rosalind Brown-Grant: „Writing Beyond Gender: Christine de Pizan’s Linguistic Strategies in the Defence of Women“, in: Kennedy, op. cit., vol. 1, 155- 169; Patrizia Caraffi: „Silence des femmes et cruauté des hommes: Christine de Pizan et Boccaccio“, in: Kennedy, op. cit., Bd. 1, 175-186; Christine Clark Evans: „Nicaula of Egypt and Arabia: Exemplum and Ambitions to Power in the City of Ladies“, in: Kennedy, op. cit., vol. 1, 287-300. 3 Cf. etwa zuletzt Cary J. Nederman: „Christine de Pizan’s Expanding Body Politic“, in: ders., Lineages of European Political Thought: Explorations along the medieval/ modern divide from John of Salisbury to Hegel, Washington D.C., Catholic Univ. of America Press, 2009, 248-258; Louise d’Arcens: „Petit estat vesval: Christine de Pizan’s Grieving Body Politic“, in: Green, op. cit., 201-226; Tsae Lan Lee Dow: „Christine de Pizan and the Body Politic“, in: Green 2005, op. cit., S. 227-243; Susan J. Dudash: „Christinian Politics, the Tavern, and Urban Revolt in Late Medieval France“, in: Green, op. cit., 35-59; Fee- Isabelle Rautert: Christine de Pizan zwischen Krieg und Frieden. Die politischen Schriften 1402-1429, Hamburg, Kova , 2005; Michael Richarz: Idealzustand und Krise Frankreichs 124 Dossier in der politischen Theorie der Christine de Pizan (1400-1407), Berlin, Logos, 2004; Blumenfeld-Kosinski, Renate, „Christine de Pizan and the Political Life in Late Medieval France“, in: Altmann, op. cit., 9-24; Lori J. Walters, „Christine de Pizan as Translator and Voice of the Body Politic“, in: Altmann, op. cit., 25-41; Judith L. Kellogg: „The Cité des dames: An Archeology of the Regendered Body Politic“, in: Kennedy, op. cit., Bd. 2, 431- 441; Langdon Forhan: op. cit.; Cary J. Nedermann: „The Expanding Body Politic: Christine de Pizan and the Medieval Roots of Political Economy“, in: Hicks, op. cit., 383-397; Julia A. Nephew: „Gender Reversals and Intellectual Gender in the Works of Christine de Pizan“, in: Hicks, op. cit., 517-532. 4 Zur Figur der Stadt in den Diskursen des 15. Jahrhunderts cf. Elisabeth Tiller: StadtKörper. Diskursfiguren und Raum, Habilitationsschrift 2008 (Drucklegung in Vorbereitung). 5 Cf. etwa Günther Feuerstein: Urban Fiction. Strolling Through Ideal Cities From Antiquity to the Present Day, Stuttgart, Ed. Axel Menges, 2008; Michel Butor: Die Stadt als Text, Graz, Droschl, 1992; Manfred Smuda (ed.): Die Großstadt als ‘Text’, München, Fink, 1992; Edward Timms/ David Kelley (eds.): Unreal City. Urban Experience in Modern European Literature and Art, Manchester, St. Martin’s Press, 1985; Michael C. Jaye/ Ann C. Watts (eds.): Literature and the Urban Experience, New Brunswick, Rutgers Univ. Press, 1981; Burton Pike: The Image of the City in Modern Literature, Princeton, Princeton Univ. Press, 1981; Volker Klotz: Die erzählte Stadt. Ein Sujet als Herausforderung des Romans von Lesage bis Döblin, München, Hanser, 1969. 6 Die Frauengemeinschaft als Variante der (Staats)Utopie hat ihre klassische Genusprägung, meist als Variation des Amazonen-Topos, also einer autonome Gemeinschaft von Frauen, die militärisch expansiv („männerfeindlich“ oder „männergleich“) angelegt ist, bei Autoren wie Homer, Aischylos, Platon und insbesondere Herodot erfahren. Wahlweise diskutiert die Antike Frauenherrschaft, also Gynäkokratie, so Platon, Aristoteles, Apollodor, Aristophanes u.a., je gewendet zum dystopischen konnotierten Frauenstaat. Vgl. hierzu Beate Wagner-Hasel: „‘Das Private wird politisch’. Die Perspektive ‘Geschlecht’ in der Altertumswissenschaft“, in: Ursula A.J. Becker/ Jörn Rüsen (eds.), Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 1988, 11-50. 7 Zur jüngst wieder aufblühenden Utopie-Forschung cf. Mark Featherstone: Tocqueville’s Virus. Utopia and Dystopia in Western Social and Political Thought, New York, Routledge, 2008; Karin Schönpflug: Feminism, Economics and Utopia. Time Travelling Through Paradigms, London, Routledge, 2008; Elena Zeißler: Dunkle Welten. Die Dystopie auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, Marburg, Tectum, 2008; Michael Griffin/ Tom Moylan (eds.), Exploring the Utopian Impuls. Essays on Utopian Thought and Practice, Oxford et al., Peter Lang, 2007; Jost Hermand: Die Utopie des Fortschritts. Zwölf Versuche, Köln/ Weimar/ Wien, Böhlau, 2007; Frederic Jameson: Archeologies of the Future. The Desire Called Utopia and Other Sience Fictions, London, Verso, 2007; Mary G. Kempering/ Willemien H.S. Roenhorst (eds.): Visualizing Utopia, Leuven, Peeters, 2007; Beat Sitter-Liver (ed.): Utopie heute. Zur aktuellen Bedeutung, Funktion und Kritik des utopischen Denkens und Vorstellens, 2 Bde., Fribourg, Academic Press, 2007; Ulrich Raulff (ed.): Vom Künstlerstaat. Ästhetische und poltische Utopien, München/ Wien, Hanser, 2006; Richard Saage: Utopisches Denken im historischen Prozeß. Materialien zur Utopieforschung, Berlin/ Münster, LIT, 2006; Axel Rüdiger (ed.): Dimensionen der Politik. Aufklärung - Utopie - Demokratie. Festschrift für Richard Saage zum 65. Geburtstag, Berlin, Duncker und Humblot, 2006; Chloé Zirnstein: Zwischen Fakt und Fiktion. Die politische Utopie im Film, München, Utz, 2006; Hans-Dieter Bahr: Der babylonische Logos. 125 Dossier Medien, Zeiten, Utopien, Wien, Passagen, 2005; Andreas Heyer: Studien zur politischen Utopie. Theoretische Reflexionen und ideengeschichtliche Annäherungen, Hamburg, Kova , 2005; Jörn Tietgen: Die Idee des ewigen Friedens in den politischen Utopien der Neuzeit. Analysen von Schrift und Film, Marburg, Tectum, 2005; Annett Zinsmeister (ed.): Constructing Utopia. Konstruktionen Künstlicher Welten, Zürich/ Berlin, Diaphanes, 2005; Michael Fehr/ Thomas Rieger (eds.): Thinking Utopia, New York, Berghahn, 2004; Rudolf Maresch/ Florian Rötzer (eds.): Renaissance der Utopie. Zukunftsfiguren des 21. Jahrhunderts, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 2004; Jörn Rüsen/ Michael Fehr/ Annelie Ramsbrock (eds.): Die Unruhe der Kultur. Potenziale des Utopischen, Weilerswist, Velbrück Wissenschaft, 2004. 8 Cf. Christine McWebb: „Female City Builders: Hildegard of Bingen’s Scivias and Christine de Pisan’s Livre de la Cité de Dames“, in: Magistrata. A Journal for Female Spirituality, 9, 1, 2003, 52-72; Claire Le Brun-Gouanvic: „Christine de Pizan et l’édification de la cité éternelle“, in: Etudes françaises. Revue des lettres françaises et canadiennes-françaises, 37, 1, 2001, 51-65; Josette A. Wisman: „D’une cité l’autre: Modernité de Christine de Pizan gynéphile“, in: Romanische Forschungen, 112, 2000, 61-71; Patrizia Romagnoli: La Cité des Dames di Christine de Pizan: La fortezza della scrittura e l’edificazione dell’utopia, Dottorato di ricerca, 1995. 9 In der mittelalterlichen Literatur findet sich gelegentlich, zumeist in Verbindung mit dem Topos der Traumvision, das Motiv der fernen Insel, die ausschließlich von Frauen bewohnt ist, etwa im Kontext der altirischen „echtra“- und „immram“-Tradition, oder aber im Dunstkreis der Artus-Erzählungen: eine Motivtradition, die, allerdings erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, also lange nach Pizans Cité, in den anonymen Text der Isle of Ladies münden wird (cf. Mario Klarer: Frau und Utopie. Feministische Literaturtheorie und utopischer Diskurs im anglo-amerikanischen Roman, Darmstadt, Wiss. Buchgesellschaft, 1993, 21-28). 10 Zur Geschichte der literarischen Gattung Utopie cf. Árpád Bernáth (ed.): Vom Zweck des Systems. Beiträge zur Geschichte literarischer Utopien, Tübingen, Francke, 2006; Richard Saage: Die moderne Utopie und ihre Verhältnis zur Antike, Stuttgart, Hirzel, 2001; Hiltrud Gnüg: Utopie und utopischer Roman, Stuttgart, Reclam, 1999. 11 Mit Blick auf die deutschsprachigen Theoriebildungen cf. Annett Zinsmeister: „Constructing Utopia. Eine kurze Geschichte idealer Konstruktionen“, in: Zinsmeister, op. cit., 7-43. 12 Vgl. hierzu Lucian Hölscher: „Utopie“, in: Otto Brunner/ Werner Conze/ Reinhard Kosellek (eds.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6, Stuttgart, Klett, 1990, 733-788; Lucian Hölscher: „Der Begriff der Utopie als historische Kategorie“, in: Wilhelm Voßkamp (ed.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie, Bd. 1, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 1985, 402-418. 13 Demgegenüber messen philosophische oder soziologische Begriffsprägungen des Utopischen antiken Grundlagentexten wie beispielsweise Platons Politeia (und damit auch Platons paradigma-Diskussion zum Idealstaat als Gedankenexperiment) ungleich größeres Gewicht zu. 14 De Optimo Reip. Statv, deqve noua insula Utopia, libellus uere aureus, nec minus salutaris quam festiuus […], so der Titel der von Erasmus besorgten Basler Edition von 1517. 15 Cf. Bettina Roß: Politische Utopien von Frauen. Von Christine de Pizan bis Karin Boye, Dortmund, Ebersbach, 1998; Klarer 1993, op. cit.; Mario Klarer: „Frau und Utopie. Zur antiken Tradition moderner Frauenutopien“, in: arcadia, 26, 1991, 113-140. 126 Dossier 16 Christine de Pizan: „Le Livre de la Cité des Dames“, in: Maureen C. Curnow: The Livre de la Cité des Dames of Christine de Pisan: A Critical Edition, Ph.D. Diss. Nashville 1975, vol. 3/ 4, 629 (I, III). 17 Pizan, Cité, in: Curnow, op. cit., 631 (I, IV). 18 Im 15. Jahrhundert beschäftigt die christlichen Theologen diesbezüglich insbesondere die Abklärung der Erbsünden-Problematik, von der die Jungfrau Maria dann tatsächlich im 16. Jahrhundert auf dogmatischem Wege (ganz im Sinne Pizans) dispensiert werden wird. 19 Cf. hierzu Peter Sloterdijk, Sphären II. Globen, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 2 2001, 96sqq. 20 Ich beziehe mich hier insbesondere auf folgende Texte Agambens zum Ausnahmezustand-Dispositiv: Giorgio Agamben: Homo sacer. Il potere sovrano e la nuda vita, Torino, Einaudi, 1995 (dt. Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 2002) sowie Giorgio Agamben, Stato di eccezione, Torino, Bollati Boringhieri, 2003 (dt. Ausnahmezustand, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 2004). 21 Zur topischen Gleichsetzung der rhetorischen Figuren Stadt und Körper in der frühen Neuzeit cf. Tiller, op. cit. 22 Joseph Vogl: „Asyl des Politischen. Zur Topologie politischer Gelegenheiten“, in: Uwe Hebekus/ Ethel Matala de Mazza/ Albrecht Koschorke (eds.), Das Politische. Figurenlehren des sozialen Körpers nach der Romantik, München, Fink, 2003, 23-38. Vogl expliziert dies (in Anlehnung an Agamben und Foucault) folgendermaßen - und auf Pizans Text durchaus übertragbar (ebd.): „Sie [die Politik] ist ein Wissen der Lage, der Einteilung und der Gliederung. Sie ist ein besonderes Verfahren, den verstreuten Körpern, Reden und Dingen einen einzigen Zusammenhang, einen identifizierbaren Ort, einen Platz und eine Stelle zu verschaffen. Politik ist darum Topik und Topologie, Redeordnung und Raumordnung zugleich: einerseits die Kunst eines Diskurses, der Topoi, Gemein-Plätze, Orte des gemeinsamen Sprechens und des gemeinen Wesens erzeugt; und andererseits das Wissen von einem Raum, der sich als Ort des Gemeinsamen und als das Gemeinsame der Orte konstituiert.“ 23 Vogl, op. cit., 23. 24 Weshalb, so Vogl, das Politische in der Politik notwendig zurückgedrängt werde, nur als konsequent Verschwiegenes, Annulliertes aufscheine (cf. Vogl, op. cit., 31/ 32). 25 Vogl (op. cit., 32/ 33) beruft sich hierbei auf Hannah Arendt und ihre Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. 26 Vogl, op. cit., 33. 27 Cf. Vogl, op. cit., 33. 28 Cf. Michel Foucault: „Des espaces autres“ [360], in: Michel Foucault: Dits et Ecrits, vol. IV, Paris, Gallimard 1994, 752-762; dt. „Von anderen Räumen“ [360], in: Michel Foucault: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Bd. IV, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 2005, 931-942. Foucault definiert in diesem ursprünglich 1967 als Vortrag ausgearbeiteten Text Heterotopien und Utopien nicht etwa, wie in Les mots et les choses ein Jahr zuvor, als Diskursmodalitäten (cf. Anm. 21/ 22) oder, ebenfalls 1966 in Radiovorträgen, als körperrelationierte contre-espaces (cf. Anm. 26), sondern als analytische Figuren bezüglich epistemischer/ gesellschaftlicher/ sozialer Raumweisen. In diesem Kontext kategorisiert Foucault das Mittelalter im übrigen als Zeitalter der Lokalisierung (im Gegensatz zur Ausdehnung der âge classique und der Platzierung der Gegenwart). 29 Michel Foucault: Les mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines, Paris, Gallimard, 1966, 9. 30 Foucault 1966: op. cit., 9.