eJournals lendemains 36/144

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Narr Verlag Tübingen
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2011
36144

G. Wix: Max Ernst. Maler, Dichter, Schriftsteller

2011
Julia Drost
ldm361440141
141 Comptes rendus Nous pourrions toutefois supposer que si le trauma est ce trop qui n’est pas assimilé par le symbole, le trauma déplace plus le désir qu’il ne l’anéantit. En effet, en étant en trop, le trauma introduit un manque, le manque de symbole précisément; ainsi, le désir se trouve déplacé vers un désir éperdu de symbolisation. En ce sens, le rapport entre le trauma et le texte se trouve être une sorte de donquichottisme inversé: au lieu de chercher à vivre une aventure lue dans les livres par un mouvement qui va du symbole au réel, on essaie de faire un livre impossible à partir d’un événement hors du commun par un mouvement qui va du réel au symbole. Or, cette symbolisation du trauma ne peut se réaliser que dans la fiction, ou autrement dit, dans tout ce qui rejette le monde de la réalité à tout prix, du constat, du „prouvé scientifiquement“ et de l’efficacité rationnelle, dont l’article de François Abalan pourrait être le prototype. Comme le signale Peter Kuon, à propos des récits de déportation, le trauma est sublimé dans une œuvre que lorsqu’il est sous-tendu par une espérance (la solidarité, la patrie, le Christ, etc.). Or, espérer, écrivait saint Paul, consiste à croire en ce que nous ne voyons pas, c’est-à-dire à ce que nous imaginons. Si le trauma parvient à être dépassé par l’espérance, c’est parce que l’espérance est déjà un travail de symbolisation par l’imaginaire. En somme, il nous faut croire en ce que nous ne voyons pas pour accepter ce que nous avons vu. Les contributions de ce volume sont dans l’ensemble stimulantes, notamment parce qu’elles multiplient les perspectives pour éclairer les différentes facettes d’un problème forcément complexe. De plus, si la Shoah est souvent abordée (ce qui est normal pour un tel sujet), le volume ne laisse pas cet événement de poids écraser d’autres événements traumatiques de l’histoire, en faisant une place au génocide rwandais (Mwatha Musanji Ngalasso), au siège de Leningrad (Anja Tippner) ou à la violence en Colombie (Marie Estripeaut-Bourjac). Christophe Pérez (Université Michel de Montaigne Bordeaux 3) GABRIELE WIX: MAX ERNST. MALER, DICHTER, SCHRIFTSTELLER, MÜNCHEN: WIL- HELM FINK VERLAG, 2009 Gabriele Wix’ Studie Max Ernst - Maler Dichter Schriftsteller ist für die Max-Ernst-Forschung ein wichtiges Buch. Die Autorin trägt mit ihrer fundierten Arbeit zu einer vertieften Anbindung der Kunstgeschichte an die literaturwissenschaftliche Forschung bei, denn hier widmet sich eine Forschungsarbeit mit aller Gründlichkeit der schreibenden und literarischen Tätigkeit des Wegbereiters des Surrealismus. Erstaunlicherweise blieb dies bislang ein Desiderat, da der kunsthistorische Blick das literarische Œuvre zwar immer wie selbstverständlich anerkannt und für die Bildanalyse herangezogen hat, deren Inhalte aber letztlich immer der Dominanz des Visuellen unterordnete. Weniger also der Maler, wie der Titel vielleicht etwas irreführend nahelegt, sondern der Literat, der „Dichter und Schriftsteller“ Max Ernst steht im Mittelpunkt von Wix’ Untersuchung, die auf einer überraschenden Feststellung fußt: Während der bildende Künstler seit Jahrzehnten in internationalen Retrospektiven gezeigt wird, sein Werk Eingang in die weltweit bedeutendsten Museen und Sammlungen gefunden hat, die Arbeit am achtbändigen Œuvre-Katalog fast abgeschlossen ist und sein bildnerisches Werk in zahlreichen monographischen oder problemorientierten kunsthistorischen Studien untersucht wurde, ist sein geschriebenes Werk für die Literaturwissenschaft noch zu entdecken. Gabriele Wix hat mit ihrem Buch nun einen Schritt in diese Richtung getan, allein das ist verdienstvoll. 142 Comptes rendus Schon der Umfang des literarischen Schaffens läßt aufhorchen und mag etwas von dem Stellenwert deutlich machen, den das Schreiben, auch im Vergleich zum rein bildnerischen Werk für den Künstler hatte. Max Ernst ist der Verfasser von insgesamt etwa hundert Schriften, zu denen heterogene, sich gängigen Kategorisierungen häufig entziehende Textarten wie dadaistische Gedichte, kunsttheoretische Schriften (Qu’est-ce que le surréalisme, 1934; Au-delà de la peinture, 1937), avantgardistisch-surrealistische Texte und Essays zählen, aber auch Vorworte, kollektive surrealistische Gemeinschaftstexte wie z.B. Les Malheurs des Immortels (1922) mit Paul Eluard oder der von André Breton, Gisèle Prassinos, Marcel Duchamp, Max Ernst u.a. signierte, in der Zeitschrift Plastique erschienene Roman L’Homme qui a perdu son squelette (1939) sowie zahlreiche autobiografische Texte. Seine Schriften wurden gesammelt bislang nur einmal unter dem Titel Ecritures 1971 bei Gallimard in Paris verlegt, eine Anthologie, die die Texte unvollständig und weitgehend unkommentiert präsentiert. Nicht nur die Erstdrucke der Schriften Max Ernsts, sondern eben auch diese Ausgabe ist längst vergriffen und weist zudem auch in editionsphilologischer Hinsicht erhebliche Mängel auf, so dass die Dringlichkeit einer umfassenden wissenschaftlichen Ausgabe sämtlicher Schriften vor Augen liegt. Gemessen an der Problematik des Verhältnisses von Geschriebenem, Gemaltem und Gezeichnetem im Œuvre, im Blick auf Umfang und Qualität aller Texte des Künstlers, ist die Arbeit der Autorin eine spezialistische Studie. Gegenstand von Wix’ Untersuchung ist eine literaturwissenschaftliche Annäherung an den Dichter und Schriftsteller Max Ernst, die sie exemplarisch an zwei für das Verhältnis von Text und Bild paradigmatischen Werken, der 1920 entstandenen Text-Bild-Collage Refus d’Apollon und dem Collagenroman La Femme 100 têtes (1929) unternimmt. Wix entscheidet sich damit für die Berücksichtigung ausschließlich literarisch-poetischer Texte, d.h. solcher Schriften, die um ihrer selbst willen und nicht im Kontext eines äußeren Anlasses, etwa einer Ausstellung, entstehen. Beide gewählten Beispiele berühren vehement und intentional das Verhältnis von Wort und Bild. Zwar fällt der vor allem im Zusammenhang postmoderner Theoriediskurse gebrauchte Begriff des Hybriden bei Wix nicht, doch scheint die mit dem Terminus verbundene Perspektivierung des Phänomens geeignet, das Wie der Verbindung von Text und Bild und das daraus entstehende Neue als Drittes zu fassen. Ohne die sinnstiftende, essentielle Verbindung von Wort und Bild zu negieren, nimmt die Autorin in der Folge aber zunächst die Texte in den Blick. Der erste Teil von Wix’ Untersuchung kreist ihren Gegenstand ein, und dies, indem sie verblüffenderweise mit einer Ausgangsthese, die sich zum Theorem der Wort-und-Bild- Dialektik konträr verhält, beginnt: die Hypothese der Autonomie des literarischen Werks, das zwar in enger, intermedialer Beziehung zu den Bildern entstanden, aber doch von diesem unabhängig als eigener Teil seines Schaffens zu werten sei. Max Ernst selbst stellt sich in seinem Eintrag im Dictionnaire abrégé du surréalisme als „peintre, poète et théoricien surréaliste“ dar und betont damit die gleichrangige Bedeutung, die die künstlerisch-visuelle wie die intellektuell-literarische Reflexion für ihn besitzen. Wix verweist in ihrer Argumentation ferner darauf, dass schon Louis Aragon in seinem 1930 erschienenen Aufsatz Au défi de la Peinture in den sehr langen Titeln und Inschriften der frühen Collagen Max Ernsts eine Art Titelgedicht („titres-poèmes“) gesehen hatte, denen er eine literarische Qualität „au-delà de la peinture“ zuerkannte. Im zweiten Teil der Studie gelingt es Wix überzeugend herauszuarbeiten, dass auch im literarischen Werk Max Ernsts die Collage das ästhetische Grundprinzip bildet. Die Autorin betont dabei den rational gesteuerten Entstehungsprozess der Texte und zeigt unter Berufung auf Michel Foucaults Les mots et les choses die systematische, neue Verortung der „Dinge“ auf, die durch ihr „Ver-rücktsein“ allgemeine, geläufige Erwartungen versetzen 143 Comptes rendus und verschieben. Im Unterschied zu Tristan Tzaras aleatorischer Poetik, so Wix, sei die von Max Ernst eine kalkulierte. Mit der Collage entstehe keineswegs das Chaos sondern eine „Literatur jenseits der Literatur“, nach dem in der Malerei äquivalenten Prinzip von Max Ernsts Verfahren, der das Thematische nur noch als Vorwand nutze, um eine neue Ordnung der Dinge zu etablieren. Wie in seinem bildnerischen Schaffen arbeitet Max Ernst auch in seiner Dichtung mit Vorgefundenem, nur dass hier, als jeweils schon eingefärbter, symbolischer Bilderspeicher, nicht altes Abbildungsmaterial aus Groschenromanen des 19. Jahrhunderts oder populärwissenschaftlichen Magazinen als Vorlage dienen konnte, sondern der Text als kreierte Struktur von verschiedensten historisch literarischen, wissenschaftlichen oder anders konnotierten Referenzen und philosophischen Diskursen begriffen wird. Dass Texte niemals völlig eigene literarische Gebilde sind, sondern sich immer aus einer Vielzahl von bereits existierenden Texten speisen, ist das in seinen Palimpsestes angeführte Postulat des französischen Literaturwissenschaftlers Gérard Genette. Wix stellt diese Überlegungen im Rückgriff auf Michel Butors grundsätzliche Infragestellung der Individualität des literarischen Werkes an, das immer auch ein Produkt eines kollektiven Gewebes sei. Die „Ästhetik des Bebens“, so Wix, wird u.a. dadurch erzeugt, dass die Collage, das „perfekte Verbrechen“ (Werner Spies), zum Lusterreger wird. Fragmentierung und die Erzeugung von Diskontinuität sind auch hier die ästhetischen Prinzipien, die den Leser und Betrachter eine Welt jenseits der bekannten Zusammenhänge erahnen, ihn aber zugleich ausgeschlossen von derselben verharren und mit seinem individuellen Blick allein lassen. Im dritten Teil schließlich konkretisiert und veranschaulicht die Autorin ihren theoretischen Zugriff in der Analyse des Gedichtes Refus d’Apollon, das handschriftlich auf einer Bildcollage aus dem Jahr 1920 erscheint. Hierbei bezieht Wix sowohl das Verhältnis von Titel und Gedicht, die komplexen und vielschichtigen prä- und intertextuellen Verweise und Rückgriffe auf griechische Götter und Mythen, die Gesänge des Maldoror von Lautréamont sowie Sigmund Freuds Deutung des Gedichts Gradiva von Wilhelm Jensen, in das von wechselseitigen Widersprüchen und Aufhebungen gekennzeichnete Zusammenspiel der Zeichensysteme Wort und Bild und die Analyse der Bildvorlage mit ein. Sie kommt dabei zu dem ebenso einleuchtenden, wie wenig überraschenden Schluss, dass „zwischen beiden semiotischen Systemen eine Bewegung entsteht von der Erwartungshaltung, das eine werde das Rätsel des anderen lösen, und dem ständigen Wechsel von Bild zu Text, Text zu Bild als Suche, Vergewisserung, bis zu der Erkenntnis, dass all dies Betrug ist“. Im Mittelpunkt des vierten und umfangreichsten Teils ihrer Untersuchung steht Max Ernsts erster, 1929 im Pariser Verlag Carrefour erschienene Collagenroman La Femme 100 têtes, der 147 Collagen mit dazugehörigen Bildlegenden präsentiert und für Wix neben Bretons Nadja und Aragons Paysan de Paris der verkannte surrealistische Roman par excellence ist. Das Spiel mit Homonymien, bereits im Titel La Femme 100 têtes, ist gleichermaßen Rückgriff auf die Wortspiele des für Max Ernst so zentralen Buchs Les Chants de Maldoror von Lautréamont wie im Zusammenhang mit Duchamps Alter ego Rrose Selavy sowie seinen Ready mades (und ready maids) zu sehen. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht ist die Untersuchung der Femme 100 têtes die erste umfangreiche Studie, die mit den exemplarischen Analysen auch ein hohes theoretisches Niveau durchhält, was den Text zugleich streckenweise schwer lesbar macht. Sie berücksichtigt sowohl die neun verschiedenen Ausgaben des Romans samt ihrem Erscheinungskontext und erfasst in ihrem Vergleich ebenso die vier zu unterscheidenden 144 Comptes rendus Versionen, ihren Paratext, d.h. sämtliche Präsentationsformen und dazugehörigen Texte wie Titel und Vorwort, die illustrative sowie die druckgraphische Gestaltung der Ausgaben. Schließlich widmet sie sich einer fundierten Analyse des etablierten Textcorpus der Femme 100 têtes, dem Wix nicht nur das Fehlen einer durchgehenden Handlung sondern gar sämtlicher „Orientierungspunkte“ attestiert. Wenn sie sich mit dem Germanisten Jürgen H. Petersen auf eine eigentlich postmoderne Definition des Roman beruft - als „Entfaltung der Wirklichkeit als reine Möglichkeit“, dessen Diskontinuität und fragmentierte Erscheinung sich am ehesten mit dem Begriff der Textur umschreiben lassen, einem Gewebe, das den Montagecharakter des Romans am treffendsten charakterisiert - gewinnt man nie den Eindruck einer Applikation des theoretischen Modells, im Gegenteil, die Konzeption erweist sich als äußerst tragfähig und trifft im Kern die Eigenart des Ernstschen Werks. Dem Roman fehlt zwar die durchgehende Handlung und damit sein wichtigstes Prädikat, doch gibt es Protagonisten: die hundertköpfige kopflose Frau und der Vogelobre Hornebom, die beide bekanntermaßen nicht nur romansondern werkimmanent in die persönliche Mythologie des Künstlers eingebunden sind, darüber hinaus aber, wie Gabriele Wix kenntnisreich aufzeigt, auf vielfältige und äußerst komplexe Weise geradezu archetypisch die Weltgeschichte der Literatur beherrschen. Von den motivischen Parallelen zu dem deutschen romantischen Märchen Von dem Machandelboom, in dem ein kleines Mädchen seinem Bruder den Kopf abgeschlagen zu haben meint, deren Todesverzweiflung sich erst legt, als der Bruder sich als Seelenvogel aus seinen brennenden Gebeinen unter dem Wacholderbaum in die Höhen erhebt; über das Feuer als Symbol der Erneuerung und des Begehrens; die überlieferte antike Vielköpfigkeit oder die romantische blutrünstige Betonung des abgeschnittenen Kopfes, die Thematik der Medusa bei Charles Nodier, Victor Hugo und Jules Janin, aber auch Alexandre Dumas oder in Goethes Faust, untersucht Wix den Roman im Kontext der überaus vielschichtigen und reichen Thematik von Kopflosigkeit und Vielköpfigkeit. „Viele dieser Seiten, die Erregung ausdrücken“, schreibt André Breton in seiner Gebrauchsanweisung für den Leser in der ersten Ausgabe der Femme 100 têtes 1929, „vermitteln uns die Illusion wahrhafter Schnitte durch Zeit, Raum, Sitten und Gebräuche“. Er beschreibt damit die Unmöglichkeit einer rational-verständnisorientierten Lektüre des Romans, das Fehlen jeglicher gattungsspezifischer Referenzen und Bezugssysteme, die spielerisch und ironisch nur als Repoussoir dienen, deren Prinzipien auf dem Aufbrechen der Relation von Signifikant und Signifikat beruhen und den postmodernen Tod des Autors schon vorwegnehmen. Gabriele Wix hat das Verdienst, mit ihrem Buch die Bedeutung herauszuarbeiten, die Max Ernsts literarisches Werk für die Entwicklung avantgardistischer Literatur im 20. Jahrhundert besitzt. Ihre Studie läßt dessen weiterführende Untersuchung besonders im Blick auf die Entwicklung postmoderner Lyrik und Literatur als vielversprechendes und ertragreiches Forschungsfeld erscheinen. Abseits von diesen Perspektiven aber entdeckt sich mit ihrer Studie eine komplexe und überaus vielschichtige, nur scheinbar und vordergründig spielerisch leichte Verzahnung von bildnerischem und literarischem Œuvre, mit der Max Ernst auch innerhalb der surrealistischen schreibenden Künstler - man denke an Dalí oder Magritte - eine Sonderstellung einnimmt. Julia Drost (Paris)